Von Klischees freischwimmen

Eine Frau die aus dem Wasser blickt.
Foto: blende 2komma2 / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc-nd)

Christiane Reppe ist eine leidenschaftliche Schwimmerin und verbringt so viel Zeit im Wasser und Fitnessraum, wie andere Menschen im Büro. Trotzdem sind einige Medien mehr an ihrer Behinderung als an ihren Leistungen interessiert.

„Ich habe dich auf einem Plakat in Hamburg gesehen!“ steht in einer SMS auf meinem Handy. Wäre ich eine gesuchte Bankräuberin, sollte mir das zu denken geben, wäre ich ein Topmodel, würde mich die Nachricht vielleicht nicht überraschen. Meine Gefühlswelt aber liegt dazwischen. Schließlich habe ich die Möglichkeit bekommen, als Schwimmerin bei der Werbekampagne zu den Olympischen und Paralympischen Übertragungen von ARD und ZDF dabei zu sein. Neben den ganzen Nachrichten, die ich von Freunden und Bekannten erhalte und dem Stolz, mich in Übergröße überall in der Stadt zu sehen, freue ich mich wegen einer ganz anderen Sache über die Werbung: Ich werde als Sportlerin und nicht als Behinderte dargestellt.

Seit ich fünf Jahre alt bin habe ich nur ein Bein, aber dafür keinen tödlichen Krebs mehr. Ich finde, das ist ein guter Deal! Zum Schwimmen bin ich eigentlich eher zufällig gekommen. Meine Arme sollten gestärkt werden, damit ich auf Krücken nicht so schnell schlapp mache. Aus einmal Planschen pro Woche wurde schnell mehr. Meine sportliche Entwicklung ging ratz fatz und auch die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten! Dieses Jahr werde ich meine dritten paralympischen Spiele erleben und sehe eine deutlich positive Entwicklung in der Berichterstattung seit Griechenland.

Mehr Berichterstattung über Paralympics für mehr ZuschauerInnen

Wenn ich das Wort „Paralympics“ bei wikipedia aufrufe, lese ich, dass es nur einen sehr kleinen Interessenkreis gibt und sich auch die Nachfrage seitens der TV Sender in Grenzen hält. Das stimmt vielleicht. Und vielleicht stimmt auch der Eindruck, dass unsere niedrigen Zuschauerzahlen ein Beweis für das mangelnde Interesse sind. Ich frage mich aber: Was bedingt hier was? Wenn das Fernsehen kaum berichtet, gehen auch weniger Leute zu den Wettkämpfen. Würden wir vielleicht mehr Zuschauer haben, wenn die Internationalen Deutschen Meisterschaften genau wie die Fußball-Bundesliga übertragen werden würde?

Die ARD und ZDF haben den Anfang gemacht in dem sie die Paralympischen und Olympischen Spiele gleichberechtigt (zumindest in der Kampagne) behandelt haben. Das mediale Interesse steigt, und auch über Paralympioniken wird mehr geschrieben. Immer weniger werden die Paralympics als Abklatsch der Olympischen Spiele wahrgenommen, sondern als eine eigene Veranstaltung.

“Trotz Tattoo (oder Behinderung) schwimmt sie gut”

Doch in einigen Artikeln ist die Tonalität noch veraltet. Genau wie sich die Paralympics als eigenes Event emanzipieren, wollen es auch die Sportler. Denn in erster Linie sind wir Sportler und möchten genauso wahrgenommen werden wie Britta Steffen oder Michael Phelps. Bei den Sportlern zählen Erfolge oder Misserfolge für eine Nachricht. Ist Michael Phelps rechtzeitig fit? Schafft Britta Steffen die Norm? Wie wirkt sich der Trainerwechsel auf die Leistung von Usain Bolt aus? Solche Fragen stellen sich Sportjournalisten. Bei mir steht aber oft nicht die Leistung (oder Missleistung) im Mittelpunkt, sondern meine Behinderung. Natürlich ist es für die Einordnung oder Vorstellung des Lesers eine Information, dass ich nur ein Bein habe, aber es ist doch keine Nachricht. Niemand hätte bei Franziska van Almsick geschrieben: „Sie hat ein neues Tattoo und trotz diesem schwimmt sie gut.“

Ich fliege zu den Paralympics nach London, um alles zu geben. Es sind weniger als fünf Minuten, die bei mir über Sieg oder Niederlage entscheiden. Doch nicht der Zuschauer entscheidet, oder die Presse und auch der Trainer nicht. Ich allein habe den Schlüssel zum Erfolg in meiner Hand! Ich versuche nicht, durch das Schwimmen mein fehlendes Bein zu kompensieren, ich leide nicht daran und will auch kein Mitleid, sondern mich mit anderen Sportlern messen. Dafür springe ich jeden Tag ins Wasser, zähle knapp 30 Stunden pro Woche meine Bahnen, stemme Gewichte und fühle mich den Ruderern auf dem Ruderergometer tief verbunden. Die Leistung ganz am Ende entscheidet.

Zwei Sportlerinnen. Ein Ziel. Erste sein.

Und genau wie der Trainer kein Mitleid empfindet, mich jeden Tag zu quälen, sollten es die Medien gegenüber dem Thema Behinderung nicht haben! Die Botschaft sollte nicht sein, dass ein Mensch eine Behinderung hat und dennoch Sport macht, sondern dass diese Person in erster Linie Leistungssportler mit Leib und Seele ist! Nicht anders als jemand mit zwei Beinen trainiere ich jeden Tag am Limit und gebe alles, um vielleicht irgendwann als Sieger aus dem Becken steigen zu können! ARD und ZDF haben mit der Kampagne „Zwei Sportler. Ein Ziel. Erste sein.“ eine klare Stellung bezogen! Die Botschaft ist deutlich: Die olympischen und paralympischen Spiele werden auf eine Stufe gestellt und das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Plakat zu der Kampagne von ARD und ZDF zu den olympischen und paralympischen Spielen. Christiane Reppe und Franziska Schreiber am Beckenrand der Schwimmhalle.

Zum Schluss noch eine kleine Anekdote, die sich vor wenigen Tagen in der Schwimmhalle zugetragen hatte: Einer unserer Juniorsportler des Berliner Schwimmteams kam auf mich zu und sagte: „Du hast ja nur ein Bein!“ Ich musterte ihn und konnte nur antworten: „Na und, du hast nur einen Arm!“ Er grinste nur verlegen und sagte: „Stimmt, sogar auf der gleichen Seite wie du!“ Der Junge hatte seine Behinderung vollkommen vergessen. Vielleicht wird das bei Sportjournalisten auch irgendwann der Fall sein.

Titelbild: blende2komma2 / www.jugendfotos.de “nass.”, CC-Lizenz(by-nc-nd)

Foto1: Plakat von der Werbekampagne. Quelle: ARD, ZDF und Sie.

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