Ist das wirklich so schwer?

Die Anzeige einer alten halb verrosteten Waage.

Von 2003 bis 2007 dokumentierte die Kommunikationsberaterin und Autorin Annette Schwindt Partnerschaften, in denen einer der beiden Partnerinnen bzw. Partner behindert ist und der bzw. die Andere nicht. Auch 2012 bekommt sie noch Anfragen zu der Dokumentation. Dabei werden oft Behinderung und Gesundheit miteinander verwechselt. Ein Erfahrungsbericht

 

Ich muss mich mal (wieder) aufregen. Gerade saß ich hier und überlegte, wie ich wohl meine Erfahrungen mit sprachlichen Klischees über Menschen mit Behinderung niederschreiben könnte, da klingelt mein Telefon. Am anderen Ende ein Mensch von einer Fernsehproduktion, der mich wegen „two sames“ kontaktiert. Unsere Dokumentation über Paare mit einem Partner mit und einem ohne Behinderung ist zwar längst abgeschlossen und heißt auch nicht „two sames“, sondern „Zweisames“, aber ich lasse ihn mal reden…

Warum Menschen mit “körperlichen Defiziten” versus “Gesunde”?

„Wir machen Beiträge über Liebesbeziehungen und da bin ich auf Sie gestoßen. Das passt ja genau rein, dass es eben auch Beziehungen gibt zwischen so Menschen mit körperlichen Defiziten und Gesunden…“ – spätestens an dieser Stelle reißt mir der Geduldsfaden! Defizite? Gesunde? Hallo?!!! Ich versuche, den Herrn darüber aufzuklären, dass seine Ausdrucksweise für mich nicht akzeptabel ist. Jemand, der eine Behinderung hat, ist nicht defizitär und auch nicht automatisch krank! Es macht mich immer noch wütend, wenn jemand mir gegenüber solche unüberlegten Gemeinplätze nutzt. Man sollte meinen, so langsam hätten es alle begriffen, aber weit gefehlt…

Jetzt würde ich ihm gern mein Infoblatt reichen, das ich schon vor einigen Jahren genau für solche Fälle verfasst habe. Damals war ich zuständig für die Pressearbeit im Bereich Rollstuhltischtennis und lernte auf diesem Wege die „Guidelines reporting on persons with disability“ des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) kennen. Da es kein Äquivalent für die deutsche Sprache gab, habe ich mir vom IPC die Erlaubnis geholt, das Ganze für das Deutsche anzupassen. Das Ergebnis kann seitdem hier kostenlos heruntergeladen werden. Was sich ursprünglich an Journalisten richtete, wird seither von allen möglichen Berufsgruppen und Stellen genutzt und viele tausend Mal heruntergeladen. Die Journalisten bedienen sich derweil weiter gern der üblichen Floskeln vom „an den Rollstuhl gefesselten“ oder „seinem tragischen Schicksal trotzenden“ Menschen. – Menschen? Ah nee, dass es sich hier um Menschen handelt, geht ja gern unter im Eifer des ach so Tapferen und Bemitleidenswerten und so weiter. Das zieht ja sonst auch nicht… Freakshow oder Tränendrüse machen mehr Auflage.

Vielfältige Persönlichkeiten mit Behinderung

Obwohl ich in der Beziehung der vermeintlich „Gesunde“ bin und mein Mann „an den Rollstuhl gefesselt“, regt er sich über solche Formulierungen längst nicht mehr auf, sondern setzt auf Schocktherapie. Wer ihn mitleidig darauf anspricht, wie schlimm es doch sein müsse, nicht gehen zu können, wird über die viel gravierenderen Folgen des Gelähmtseins aufgeklärt. Und wer beim Essen nicht übers Katheterisieren reden will, hat dann eben Pech gehabt. Für alle anderen mag das Infoblatt zum Selberlesen oder Weitersagen eine Hilfe dafür bieten, wie man sich die Floskeln aus dem Kopf schlagen kann. So schwer ist das nämlich gar nicht, wenn man sich das dortige Intro zu Herzen nimmt:

 

Was einen Menschen ausmacht, sind nicht seine körperlichen Fähigkeiten, sondern seine Persönlichkeit, sein Denken, Fühlen und Handeln. Definieren Sie einen Menschen daher nach diesen Kriterien, nicht über seine Einschränkungen. Denn Einschränkungen hat jeder, auch nichtbehinderte Menschen. Bei Menschen mit Behinderung ist nur eine besondere Einschränkung sofort sichtbar. Diese mag für Sie ungewohnt sein, macht Ihr Gegenüber jedoch nicht automatisch zu einem bemitleidenswerten Menschen.

 

Titelbild: timlewisnm / Flickr.com (CC BY-SA 2.0)

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