Ob Rollstuhlbasketball oder Reha – die meisten Magazine von und für Menschen mit Behinderung schreiben über Sport oder Gesundheit. Doch allmählich gibt’s auch andere Themen, die dann auch Menschen ohne Behinderung interessieren. Judyta Smykowski hat einige Magazine mal genauer durchgeblättert.
Ein Magazin für Menschen mit Behinderung. Was mag da mehr drinstehen als hilfreiche Tipps für den Alltag mit Hilfsmitteln und Assistenz? Ich fühlte mich beim Durchblättern der Magazine bestätigt, fand dann aber heraus, dass ich einiges, ziemlich Praktisches noch nicht wusste: Wie genau beantrage ich die Umrüstung eines Autos und welche Angebote bieten die Hersteller selbst an? Trotzdem ist die Magazinlandschaft von und für Menschen mit Behinderung vor allem ein Dunstkreis aus News zu Reha-Themen und dem Klagen über neue, unvorteilhafte Gesetze.
Von Blasenkathetern und Brustprothesen
Thematisch kreist vieles um Verbandsaktionen, politische Forderungen und Rechtsberatung für die Anträge der Pflegebedürftigkeit. Auch Rollstuhlsport ist hoch im Kurs. Zwischendrin: Immer wieder Werbung für Blasenkatheter und Rollstühle. Auch Werbung für Brustprothesen. Ich frage mich, wie Brustkrebspatientinnen zu dieser Werbung gelangen sollen. Begleitet werden die gesundheitsspezifischen Werbungen mit bedeutungsschweren Slogans wie „Das Leben. Mehr Leben.“
Man braucht diese Themen. Betroffene bekommen die Möglichkeit, sich zu informieren. Aber es ist doch alles sehr trostlos. Und wirkt mitunter surreal, wenn dann in der dazu passenden schwerlastigen Werbung plötzlich Testimonials ein strahlendweißes Lächeln zeigen. Das andere Extrem: jede Menge Heldengeschichten. Warum nicht mal Geschichten erzählen, die mitreißen ohne zu übertreiben? Warum steht so oft das Schicksal im Vordergrund, das Menschen zu Menschen mit Behinderung machte, die jetzt zum Teil übermenschliche Leistung vollbringen? Warum nicht mehr von tollen Projekten behinderter Menschen berichten, auch solcher, die mit Behinderung geboren wurden?
Kollektives Seufzen versus ästhetische Experimente
Die Zeitschriften teilen sich in zwei Lager. Die einen stellen eine lieblose Zusammenstellung von wehleidigen Anklageschriften dar. Sie weisen auf Gesetze, auf Armut und auf gesellschaftliche Ausgrenzung hin. Dass es auf all diesen Gebieten einer Besserung bedarf, steht außer Frage. Aber ein Magazin muss doch mehr bieten, als ein kollektives Seufzen. Viele Magazine kommen auch als eine Art „Apotheken Umschau“ daher. Man weiß nicht so recht, wer die Zielgruppe sein soll, ob die Grenze zwischen dem Bedarf für Seniorinnen und Senioren und dem der Menschen mit Behinderung allgemein an dieser Stelle nicht schon fließend ist. Es fehlt auch an Themen ohne Bezug zu Behinderung. Und an Leichtigkeit, an Illustration, an hochaufgelösten Bildern, an frischem, jungen Layout.
Die andere Seite bilden die bunten, grellen Zeitschriften, die dem Leser schon auf dem Titelblatt „Inklusion!“ und „Mobilität!“ entgegen schreien. Das Magazin „Autonomy“ des Autoherstellers Fiat ist in Hinblick auf Präsentation und Tonalität eine Ausnahme: In einer Bilderserie werden Prothesen aus den 1940er Jahren bis heute kunstvoll dargestellt, und kommen ganz ohne Gesundheits- oder Sanitätshauskatalog-Charakter aus. Auch sonst ist das Magazin farblich ästhetisch gestaltet. Glückliche, aktive Menschen mit Behinderung werden gezeigt, Künstlerinnen und Sportler.
Ziemlich beste…
„Ziemlich beste Feinde“, „Ziemlich beste Partner“ – seit dem Kinoerfolg des Films „Ziemlich beste Freunde“ (2011) kommt man an allerlei Wortspielen rund um den Titel des Films nicht mehr umher – etwa ist im „caput“-Magazin das Model Carolin Fischer gleich die „Ziemlich starke Frau“. Dieser Artikel könnte eigentlich in der gleichen Form in jeder anderen Frauenzeitschrift erscheinen. Überhaupt stellt sich die Frage, warum nicht häufiger Menschen mit und ohne Behinderung in einem Magazin gemeinsam vorkommen können. Warum nicht auch mal ein Dossier, ein Artikel oder eine Bilderreihe zu den Themen, die Menschen mit Behinderung betreffen, inmitten der „Brigittes“ und „Glamours“ dieser Welt? Geklappt hat’s ja schon mit einer schönen fotografischen Inszenierung von Ninia LaGrande und Laura Gehlhaar in der „Barbara“.
Mainstream-Magazine und das „Ausprobieren einer Behinderung“
Aber auch Magazine des Mainstreams berichten über das Thema Behinderung. Dabei wird von den meist nicht behinderten Autor*innen zugegeben, dass sie Berührungsängste mit dem Thema haben und unerfahren sind. Das „Ausprobieren einer Behinderung“ darf dabei nicht fehlen. Im Heft „Behinderte“ vom Dummy-Magazin (2011) beispielsweise fährt ein Autor mit dem Rollstuhl durch Münster. Die Mülleimer seien auf seiner Kopfhöhe beschwert er sich im Text und findet damit vielleicht eine Metapher für sein momentanes Gefühl. Es bleibt aber nur ein sehr persönlicher Bericht, der Autor merkt lediglich an, dass er froh ist, dass der Tag im Rollstuhl vorbei ist. Eine andere Art der Befangenheit zeigt sich in der gewählten Sprache. Es ist die Rede vom „Rand der Welt, nicht der Mitte“ im Zusammenhang mit Schauspieler*innen mit Down-Syndrom des Theaters RambaZamba. Auch die titelgebenden „Behinderten“ werden oft erwähnt. Dies ist im Vergleich zu „behinderte Menschen“ oder „Menschen mit Behinderung“ diskriminierend. Trotzdem ist diese Ausgabe des Dummy-Magazins lesenswert, allein wegen der Vielfalt der Blicke und Themen in Bezug auf Behinderungen.
Mehr Medienkompetenz, mehr Sichtbarkeit
Die oft vermisste Augenhöhe bietet das junge, frische N#mmer-Magazin: modernes Layout, kein Mitleid, keine Helden- oder Opfergeschichten. Es wird von Menschen mit AD(H)S und Autist*innen gemacht. Die können dann auch am authentischsten die neuesten Ergebnisse der Forschung über Autismus analysieren. Ein besonderes Augenmerk sei auf die Illustrationen im Magazin gelegt. Diese haben eine zusätzliche Ebene, die zum Nachdenken anregt. Das ist bei vielen anderen Magazinen nicht der Fall, in denen das Bild nur dem Text dienen soll. Oder wo ich manchmal das Gefühl habe, dass es nur als Platzfüller herhalten musste.

Quelle: www.facebook.com/ohrenkuss
Ein weiteres hervorzuhebendes Beispiel ist das Magazin „Ohrenkuss“. Schönes, modernes Layout. Auch dieses Magazin ist, wie das N#mmer-Magazin, immer nur einem Thema gewidmet. Die Texte von Menschen mit Trisomie 21 werden unverändert gedruckt. Es steht dabei, ob sie von den Autor*innen diktiert oder selbstgetippt werden. Sprachlich sehr direkt, da es Leichte Sprache ist, trotzdem erzeugen die Worte Bilder vor dem geistigen Auge des Lesers.
Es wäre wünschenswert, wenn in Magazinen generell mehr Menschen mit Behinderung neben Menschen ohne Behinderung gezeigt werden. Wenn in den Frauenzeitschriften dieser Welt auch Models mit Behinderung vorkämen. Die Sportlerin Aimee Mullins schaffte dies, sie war auf dem Cover der amerikanischen Wired. Allerdings ging es im Artikel um die neueste Prothesenforschung; Mullins trägt welche. Eine thematische Mischung wäre ein dringendes Ziel. Behindertensport neben der Fußballbundesliga zum Beispiel bei „11 Freunde“. Oder ein Artikel über Mode für Rollstuhlfahrer*innen in der Glamour.
Liste analysierter Magazine
- Magazin Dummy „Behinderte“
- Magazin „Caput“
- Magazin für Mobilität „Autonomy“ Kontakt: magazin@fiatautonomy.de
- Magazin „RehaTreff“
- Magazin „N#mmer“
- Magazin „Rollt.“
- Magazin „Ohrenkuss“
Naja, immerhin, wenn man bedenkt daß Printmagazline gerade eine Krise durchmachen, ist es wohl fast ein Wunder daß es überhaupt Zeitschriften für Menschen mit Behinderung gibt. Imerhin ein gutes Zeichen, wenn auch nicht mehr.
Vielen Dank für den Beitrag zum Magazinen für Menschen mit Behinderung. Nach der Beinamputation bei meinem Onkel hat er in verschiedenen Magazinen viel über die richtige Prothesenversorgung gelernt. Gut zu wissen, dass es Magazine für Betroffene gibt, die auf Heldengeschichten verzichten und ihre Artikel auf Augenhöhe mit ihren Lesern schreiben.