Anastasia Umrik ist Gründerin eines Fashionlabels und engagiert sich für die Inklusion von behinderten Menschen. Einer breiten Öffentlichkeit wurde Umrik durch Projekte wie “anderStark” bekannt. Darüber hinaus gibt sie Workshops und spricht über Barrierefreiheit und inklusives Design. Oft tut sie dies, um im Leben selbst voran zu kommen. Judyta Smykowski sprach mit ihr über ihre Projekte, zwischenmenschliche Beziehungen und Aktivismus. 

Anastasia Umrik sprudelt vor Energie und Ideen. Dauernd ist sie auf der Suche nach neuer Inspiration. Ihr Smartphone steht ebenfalls nicht still: „Wenn ich einmal online bin, dann kommen ständig neue Nachfragen.“ Umrik ist eine gefragte Frau in Sachen Mode und Barrierefreiheit. Für all das, was sie vor hat, braucht sie eigentlich einen Klon von sich. “Ich habe so viele Ideen, brauche aber ein Team um mich herum, das sie umsetzt.“

Momentan genieße sie ihre unbändige Freiheit. Es fängt bei kleinen Dingen an. Wieder mal ein Glas Apfelschorle in ihrem Lieblingscafé „Frau Möller“ in Hamburgs Stadtteil St. Georg zu ihrem Mund führen zu können, zum Beispiel. Beim Interview trägt die 28-Jährige einen grauen Pulli mit Schneewittchen drauf und rote Chucks. „Bitte nicht fotografieren, ich bin nicht gestylt“, sagt sie und lacht. Umrik sieht allerdings auch mit Turnschuhen gut aus. Sie hat kurze rot-braune Haare, rot lackierte Fingernägel, eine schlanke Figur. „Lacht und philosophiert im Rollstuhl“ – so beschreibt sich die Frau auf ihren Onlineprofilen selbst, die seit Geburt mit einer Muskelerkrankung lebt.

Unternehmerin und Speakerin mit vielen Ideen

Bekannt wurde sie einer breiten Öffentlichkeit durch ihr Projekt „anderStark“ (gelesen: anders stark), einer Fotoserie, bei dem sie Models mit und ohne Behinderung attraktiv in Szene setzte. Daraus entstanden eine Reihe von Porträts, die in einem Buch, einem Kalender und auf Ausstellungen zu sehen waren. Darüber hinaus gibt Umrik Workshops und spricht über Barrierefreiheit oder inklusives Design. Ihr Studium der Sozialen Arbeit hat sie schnell verworfen – sie wollte in die Praxis.

Ein weiteres Projekt von ihr ist das Modelabel „inkluWAS“: Hoodies, T-Shirts und Taschen werden mit Symbolen bedruckt, die das Prinzip der Inklusion erklären. Ohne große, schwerlastige Worte oder Gesten. Einfach nur still veranschaulicht auf der Kleidung. „Die neue Kollektion wird aus Kleidung bestehen, die im Sitzen und im Stehen gut passt. Meist aus dehnbarem Jersey. Da ist zum Beispiel ein Blazer, vorne kürzer, hinten länger. Der sieht im Stehen und Sitzen gut aus.“ Anastasia Umrik ist die Unternehmerin und entwickelt die Ideen. Ihre Geschäftspartnerin Kathrin Neumann entwirft die Kleidung und näht sie. „Für mich steht bei der Kleidung auch die Frage dahinter: ‚Wie beeinflusst das Optische unsere Wahrnehmung?’“, sagt sie. In allem was Umrik tut, steckt ein tieferer Sinn. Es ist spannend, diese gedanklichen Ebenen gemeinsam mit ihr zu erkunden.

Als Mensch mit Behinderung muss man in Vorleistung gehen

Anastasia Umrik sitzt mit ihrer Kollegin Kathrin Neumann von "inkluWAS" in einem Café. Anastasia Umrik trägt eine hellgraue Wolljacke und eine elegante Kette und lächelt aus dem Augenwinkel ihrer Kollegin zu. Kathrin Neumann hält trägt einen schwarzen Pullover und schwarz lackierte Fingernägel und hält einen Schreibblock so über ihr Gesicht, dass man nur ihre schwarz geschminkten Augen sieht.

Anastasia Umrik und Kathrin Neumann von „inkluWAS“ (Credit: Anna-Lena Ehlers)

Bei vielen zwischenmenschlichen Begegnungen müsse man als Mensch mit Behinderung in Vorleistung gehen, sagt sie. Für eine lockere Gesprächsatmosphäre sorgen. Berührungsängste abbauen. Darauf habe sie manchmal einfach keine Lust. Mittlerweile weiß sie, auch was Männer betrifft: „Mein Traummann ist jemand, der bereit ist für mich zu kämpfen. Ich möchte einen mutigen Mann an meiner Seite.“

Ist jeder Rollstuhlfahrer, der sich für eine Rampe vor dem Lieblingscafé ausspricht und einsetzt, gleich ein Aktivist? Und muss er dies nicht sein, um seine Bedürfnisse, in diesem Fall die Barrierefreiheit, durchzusetzen? Indem er die Barrieren anprangert und etwas gegen sie versucht zu unternehmen? Der Gründer des Berliner Vereins „Sozialhelden“, Raúl Krauthausen, sagte einmal, er wollte erst seine Behinderung nicht zum Beruf machen. Aber auch er nimmt die Motivation für die Arbeit seines Vereins aus Hindernissen, die ihm selbst begegnen. Anastasia sagt dazu: „Es schadet nicht. Wer soll es denn sonst ansprechen und durchboxen, wenn nicht die, die es betrifft?“

Anastasia Umrik sitzt an ihrem Schreibtisch, trägt ein weißes T-shirt, dass ihre linke Schulter zeigt und vorne ein aufgemaltes Bingo-Spiel. Sie lächelt in die Kamera,. Vor ihr liegt ein weißes iphone .

Anastasia Umrik (Credit: Anna-Lena Ehlers)

Andererseits hat sie Verständnis für JournalistInnen, die noch nicht mit Menschen mit Behinderung in Berührung kamen: „Bei der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung fokussieren wir [Betroffene] natürlich anders als andere Leser. Wir sind da strenger. Aber manchmal frage ich mich schon, warum wird hier wieder Mitleid erzeugt.” Zur selben Zeit blättert sie in der “InTouch”, in der kürzlich ein Porträt über sie erschien. Mit diesem ist sie ziemlich zufrieden.

Manche Menschen kritisierten sie dafür, dass sie sich viel mit der Behinderung beschäftige. Aber  das stimme nicht: „Ich mache das so, wie ich es möchte.“ Gleichzeitig gebe es immer mehr Begegnungen mit Menschen, wo die Behinderung überhaupt kein Thema ist: „Ich vergesse die Assistenz, die 24 Stunden am Tag an meiner Seite ist und die Behinderung. Wenn man mit mir ausgeht und ich in die Location rein komme, dann ist die Behinderung für mich nicht da. Wenn ich dann aber wieder in eine Bahn nicht reinkomme, weil der Fahrstuhl kaputt ist, dann denke ich wieder ‚Scheiße, was machst du jetzt?‘“.

Ironie und Sarkasmus sind ihr Ventil

Ein Rezept, dessen sich Umrik bedient, um Barrieren und manchen bürokratischen Irrsinn zu ertragen: Ironie und Sarkasmus. Sich über missliche Lagen lustig machen, laut werden, meckern in den Sozialen Medien. Und dabei trotzdem etwas auf sachliche Weise bewegen. Das ist Anastasia Umrik, die auch schon für Bekannte Beschwerdebriefe an die Krankenkasse schrieb. Zu Krankenkassen hat sie eine ganz besondere Hassliebe und sagt: „Ich lasse mich nicht zermürben von Krankenkassen und Sanitätshäusern. Ich denke mir: ‚Oh, du lieber Sachbearbeiter, du magst mich nicht? Gut, ich dich nämlich auch nicht’“.

So pragmatisch sieht sie vieles im Leben, vor allem damit sie im wahrsten Sinne des Wortes voran kommt. “Ich sage: ‚Ich will, dass alle Läden ebenerdige Eingänge haben, weil ich in die Läden gehen will.’” Aktivismus kann auch egoistisch sein.

Titelbild: Anastasia Umrik (Credit: Anna-Lena Ehlers)