Noch nie befanden sich Menschen mit Down-Syndrom derart in einem Spannungsfeld zwischen Bewunderung und Berührungsängsten wie heute. Eine verbesserte Gesundheitsversorgung, Bildung und Empowerment stehen in einem krassen Gegensatz zu einer Abtreibungsrate von 90 Prozent. Die Ausstellung „Touchdown 21“ macht dies sichtbar und zeigt, was durch ein partizipatives Forschungsprojekt entstehen kann. Ein Bericht von Lilian Masuhr.
„Ich bin ein ganz normaler Stadt-Mensch. Ich bewege mich in einer normalen Umgebung. Ich arbeite und bekomme Geld. Ich bin klein und ich bin lustig. Ich bin eigentlich typisch deutsch. Ich bin nicht berühmt. Ich bin nicht schön. Ich bin nicht reich. Ich bin nur einmalig.“ Forscherin Julia Bertmann beschreibt sich selbst auf einer Tafel der “Touchdown21”- Ausstellung, die erstmals die eigene Perspektive von Menschen mit Down-Syndrom zeigt. Immer noch wird in der Gesellschaft und in den Medien meist über sie gesprochen, statt mit ihnen. Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn schafft den Perspektivwechsel und regt zum Nachdenken an. Was bedeutet es mit diesem Syndrom zu leben, was können wir voneinander lernen, sind Menschen mit Down-Syndrom immer gut gelaunt, wie es manche Medienberichte vermuten lassen?

Johanna von Schönfeld, Ohrenkuss-Ausgabe „Superkräfte“, 2013, © Martin Langhorst, (www.lichtbilderlanghorst.de)
“Es stimmt schon: Wir sind oft nett – aber nicht nur” sagt Marc Lohmann, denn er weiß, dass Menschen mit Down-Syndrom wie Menschen ohne Down-Syndrom auch Probleme haben. Nur werden ihre Wünsche oft nicht ernst genommen. Wenn es z.B. unklar ist, ob die Regelschule oder der 1. Arbeitsmarkt einen willkommen heißen, können die Sorgen groß sein. Nur Sorgenkinder sind sie deshalb nicht, Erwachsene wollen nicht geduzt werden. Symbolisch liegt dafür ein Stück Schinken in einer Vitrine im ersten Ausstellungsraum. Er erzählt die Geschichte, wie Julia Bertmann als erwachsene Frau immer noch an der Metzgertheke gefragt wird “Möchtest Du eine Scheibe?” Ihre Kollegin, Anna-Lisa Plettenberg, führt gemeinsam mit einer Frau ohne Behinderung durch die Ausstellung und wird natürlich gesiezt. Dann plötzlich bleibt sie vor einem körpergroßen Bildschirm stehen, der sie selbst zeigt, und sagt: „Sie können mich und meinen Kollegen Julian Göpel so lange anglotzen wie sie wollen hier. Sonst aber nicht, wir wollen Respekt.“ Haben wir das geklärt, kommen wir nun zum Raum für die Liebe.
Klare Worte, unklare Verhältnisse
“Ich möchte auch heiraten. Romanze, Zärtlichkeit. Einen Mann zu haben, der mich liebt. Wenn ich mein Mann heiraten würde, der soll für immer und ewig bei mir bleiben, ohne dass er einen anderen Mann hat, sonst werde ich wieder traurig und falle dann auf die Nase. Er muss gut tanzen können, er könnte auch Ringe kaufen und zwar rot! Rote Ringe, die muss man natürlich kaufen. Er muss charmant sein. Ehrlichkeit und treu sein. Und die Liebe erwidern. Guten Anzug haben.“ Schauspieler Mirco Kuball beschreibt hier wie andere seine Gefühle, und ich schmunzle über die klaren Vorstellungen und bin gleichzeitig berührt von derart direkten Worten. Doch die Ausstellung will mehr als berühren, sie will aufklären. Aber nicht nur Menschen ohne Behinderung über das Down-Syndrom, alle Menschen sollen die Texte verstehen. Eine Art klare Sprache zieht sich komplett durch die Ausstellungstexte, sie ähnelt der Leichten Sprache, nur mit Fremdwörtern und schwierigen Themen wie Humangenetik. Doch warum direkt zu Anfang über die Liebe reden? Es ist ein Thema, was uns alle verbindet. Nur bei Menschen mit Down-Syndrom ist es noch nicht selbstverständlich, etwa mit dem Partner oder der Partnerin in der eigenen Wohnung zu leben. Gerade für die eigenen Kinder fehlt häufig noch die nötige Assistenz, ob Elternassistenz vom Sozialamt oder Erziehungshilfe vom Jugendamt. Die Künstlerin Birgit Ziegert drückt das Gefühl der unklaren Verhältnisse so aus: ein weißes Brautkleid, reich mit Namen und Tieren bestickt, aber zugenähten Ärmeln.
Auf der Suche nach der verlorenen Würde

John Langdon Down Portrait von William Henry Walker Glasnegativ mit John Langdon Downs Fingerabdruck in der linken oberen Ecke Royal Earlswood Asylum 1865 © Surrey History Centre, Woking, England
Es ist mutig, so offen über seine Gefühle zu sprechen. Doch von den Forscher*innen mit Down-Syndrom von “Touchdown21” wird mehr abverlangt. Nur in der Lage zu sein, über sich selbst zu reflektieren, reiche nicht, man müsse auch politisch denken und agieren, erzählt die Kuratorin Katja de Bragança. Und die Geschichtsschreibung informativ und emotional einordnen. Allein die Geschichte der Fotografie wirft viele Fragen auf. Im 19. Jahrhundert hatte der Namensgeber des Syndroms, Forscher und Arzt John Langdon Down, erstmals Menschen mit Down-Syndrom würdevoll und in ihrer Sonntagskleidung fotografiert, statt wie für medizinische Schriften üblich, nackt mit Fokus auf ihre Defizite. Heutzutage sehen wir in den Medien zwar vereinzelt Models mit Down-Syndrom, doch weiterhin Erwachsene mit Down-Syndrom unvorteilhaft fotografiert, oder nur den symbolischen Fötus, wenn es um Abtreibung geht. Noch schwieriger wird es für unsere Museumsführerin mit Down-Syndrom, Anna-Lisa Plettenberg, als sie im nächsten Ausstellungsraum mit dem Dritten Reich konfrontiert wird. Sie betritt den Raum mit gesenktem Kopf, während ein Vater seinen Sohn mit Down-Syndrom langsam nach draußen schiebt. Damals wurden 100.000 behinderte Menschen als „lebensunwertes Leben“ ermordet. Die Forscher*innen mit Down-Syndrom sind sich der Bedeutung des Ausstellungsraumes bewusst, doch vieles wird hier nur angedeutet, leere Gläser, in denen Gehirne lagerten, oder schlecht zu lesende altdeutsche Schrift, über die Mütter erklären, sie seien mit der Tötung einverstanden.
Die Bewältigung der Vergangenheit wirkt noch nach, da ist die Bewältigung der Gegenwart mit vorgeburtlicher Diagnostik allgegenwärtig. Während ich im nächsten Raum den Brief lese, den die Mutter eines Kindes mit Down-Syndrom an ihren Bruder schrieb, der den Kontakt plötzlich abbrach, lächelt mich ein Kleinkind mit Down-Syndrom von der Seite an und macht Faxen. Gemeinsam schauen wir auf einen genähten Wandteppich mit Chromosomen der Künstlerin Jeanne-Marie Mohn und auf Bilder von berühmten Familien mit Kindern mit Down-Syndrom, wie Charles Darwin, Charles de Gaulles und Eva Longoria (“Desperate Housewives”).
Popkultur mit Down-Syndrom
Schauspielerin Carina Kühne schreibt, die gesellschaftliche Debatte über das Down-Syndrom solle einen weiteren Fokus haben: „Nachdem der neue Blut-Test so ausführlich diskutiert wurde, wäre es schön, wenn es viele positive Berichte über Menschen mit Down-Syndrom gäbe.“ Die gibt es bereits gesammelt auf der Projektseite „Touchdown21“ als internationale Porträts von Schauspieler*innen, Künstler*innen und Lehrer*innen mit Down-Syndrom und auch auf Englisch. Doch wie schaffen Medienschaffende allgemein den Balance-Akt von übertriebener Bewunderung hin zur Normalität? Wann haben sie genug gestaunt, dass auf der Fashion-Week ein Model mit Down-Syndrom läuft und im Fernsehen eine Frau mit Down-Syndrom die Wetternachrichten spricht? Und wann sind Kritiken so weit, dass sie auf der Ebene der Kunst kritisieren, nicht nur auf der Ebene des Menschlichen? Die Medienberichte zur Ausstellung jedenfalls zeigen, dass gängige Klischees schon abgelegt wurden: Auch die Forscher*innen mit Down-Syndrom wurden interviewt, nicht nur die Kurator*innen ohne Behinderung. Und die verbreitete Floskel „leidet am Down-Syndrom“ taucht nicht auf. Viele Journalist*innen finden die Ausstellung kreativ, erfrischend, cool, was sicher auch an dem Storytelling über Comicfiguren von Vincent Burmeister liegt – Außerirdische mit Down-Syndrom vom Planeten kUMUSI kehren nach Tausenden von Jahren auf die Erde zurück, um sich über den Status quo ihrer Spezies zu informieren. Vielleicht ist die Ausstellung etwas zu textlastig, hätten blinde Menschen noch mehr Audiostationen interessiert, und gehörlose Menschen dazu mehr Alternativ-Medien als PDF’s. Vielleicht ist es auch einzigartig, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen wie jene mit Down-Syndrom, die sonst meist ausgeschlossen bleibt von Veranstaltungen, komplett in den Entstehungssprozess miteingebunden wurde.

Vincent Burmeister, Illustration für den Ausstellungsraum, „Forschung – Ich bin, was ich bin“, 2016, © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
Gekommen, um zu bleiben?
Im letzten Raum nun die Frage, wie es weitergeht mit Menschen mit Down-Syndrom. Die Antwort wird jeder selbst beantworten: Stellt er oder sie einen Menschen mit Down-Syndrom im Unternehmen ein? (“Meine Arbeit ist schön, weil ich gebraucht werde. Und ich verdiene was. Und ich kriege Urlaub und mache Überstunden.” Veronika Hammel) Wird das Kind im Bauch geboren, wenn es das Down-Syndrom hat? Die Antworten können nur persönlich sein, bleiben unsicher. Was jedoch sicher ist: Die Ausstellung wird weiterziehen und sucht aktuell neue Gastgeber. Im Mai wird sie in Bremen gezeigt. Das “Touchdown21”-Team möchte noch mehr Menschen mit Down-Syndrom couchen, um die Botschaft weiter zu tragen, dass ein Leben mit Down-Syndrom vielfältig ist. Bis dahin lassen sie Besucher*innen wie mich auch mit Fragen zurück: Kann ich mich ehrlich selbst beschreiben? Was bedeutet Liebe für mich? Und was möchte ich eigentlich noch in meinem Leben erreichen? Die Forscher*innen von „Touchdown21“ geben in einem Fotoprojekt der Ausstellung Tipps: das Seepferdchen, ein Reitturnier, Musik, heiraten, reisen und glücklich sein.
Weitere Berichte zur Ausstellung:
- „Touchdown: eine Ausstellung zum Down-Syndrom“, WDR Westart live
- „Besonders normal“, 3sat
- „Menschen wie wir“, Zeitonline
- „Ich finde es doof, wenn die mich immer anglotzen“, faz
- „Neue Ausstellung in Bonn über das Down-Syndrom“, Noz
- „Trisomie 21 – Experten in eigener Sache“, National Geographic
- „Ich bin doch ein Teil dieser Gesellschaft“, General-Anzeiger Bonn
- „Geschichte des Down-Syndroms ist voller Kraft und Inspiration“, Aachener Zeitung
- „Ein Brautkleid ohne Armlöcher“, Badische Zeitung
- „Lehrer und Schauspieler mit Down-Syndrom“, Deutschlandradiokultur
- „Mein Leben ist anders als eures“, Domradio
- „Ich bin, was ich bin“, taz (Einfache Sprache)
Titelbild: Britt Schilling, Sechs Porträts von Menschen mit Down-Syndrom. Von links oben nach rechts unten: Michael Häger, Jeanne-Marie Mohn, Jule Müller, Susanne Kümpel, Achim Priester, Marc Lohmann. 2016 © Britt Schilling