Leidmedien.de: Frau Lüthen, wie kam es dazu, gleich einen ganzen Band voll Erzählungen und Lyrik in Einfacher Sprache zu verfassen?
Alexandra Lüthen: Der Impuls zum Schreiben in Einfacher Sprache kam über den von der Lebenshilfe ausgeschriebenen Wettbewerb „Die Kunst der Einfachheit“. Ich bin der Ansicht, dass Kunst grundsätzlich barrierefrei funktioniert, weil ein Bild, ein Musikstück, ein Wortwerk immer Anklang findet in der Erlebniswelt des Betrachtenden, Zuhörenden, Lesenden.
Gleichzeitig habe ich etwas gegen Bevormundung, ob sie mich selbst betrifft oder andere. Man kann viel Schlausprech betreiben und zeigen, wie viel Wissen man über Kunst- und Literaturepochen hat, aber der private Moment, in dem ich mich berühren lassen möchte von etwas, das ich lese, höre und sehe, ist für mich heilig und hat nichts mit intellektuellem Bildungsgetue zu tun.
Leidmedien.de: Wie kam es zu Ihrer Teilnahme am Wettbewerb?
Alexandra Lüthen: Für mich waren die strengen Rahmenbedingungen des Wettbewerbs und die Kriterien der Einfachen Sprache eine Herausforderung. Ich muss die Bedingungen kennen, aber im Text selber braucht das für die/den Leser*in nicht spürbar zu sein, darf es auch gar nicht. Die Geschichte, die ich erzählen möchte, steht im Vordergrund, nicht das Handwerkszeug, das ich dazu verwende. Wie in meinen anderen Texten auch, betrachte ich die Protagonist*innen und lasse ihnen den Raum, sich zu entwickeln. Die Wünsche und Sehnsüchte von Menschen lassen sich nämlich gar nicht behindern. Egal, ob jemand das in Worte fassen kann oder nicht – die Ideen, die Menschen von ihrem Leben haben, sind lebendig und wertvoll und bringen andere Menschen zum Handeln.
In der Geschichte „Maras Baby“ beschreibe ich den ganz normalen Kinderwunsch einer jungen Frau. Mara ist eine Frau, sie fühlt sich berührt von dem Lächeln eines Babys und reagiert mit dem Impuls „Das will ich auch!“. Interessant wird es da, wo die Idee zum Gedanken, zum Plan, zur Realität wird.
Leidmedien.de: Hatten Sie Testleser*innen oder Prüfer*innen, so wie es bei den Texten in Leichter Sprache üblich ist?
Alexandra Lüthen: Ja, das waren zunächst mal Schriftstellerkollegen, die durchaus auch vereinzelt Rückmeldung gaben im Sinne von ‚Das kannst Du so nicht schreiben! Stell Dir mal vor, die Mädchen in den Einrichtungen werden dann alle schwanger!‘ Ich habe die Geschichte trotzdem eingereicht. Was wäre Literatur, wenn sie keine Ideen geben dürfte? Wenn ich beim Schreiben schon meine Leserin oder meinen Leser zensiere und ihr oder ihm durch die Zeilen zuraune „Das darfst Du nicht mal denken!“?
Leidmedien.de: Wie war die Beziehung zu Ihren Protagonist*innen?
Alexandra Lüthen: Ich finde, dass das Wahrnehmen von Sehnsüchten immer wichtig ist. Und deshalb dürfen die Charaktere aus „Bärenzart“ auch offen sein, sich selbst gegenüber und machmal auch nach außen, wenn der Wunsch zu groß wird, um nur ein Wunsch zu bleiben. Es war mir eine Freude, sie schreibend zu begleiten und ihnen dabei zuzusehen, wie sie aus sich heraus treten und die Welt mehr Sinn bekommt. Beispielsweise die junge Frau in „Die Nummer von Frau König“, die endlich eine Antwort hat auf die floskelhafte Frage ihrer Fallmanagerin, ob es etwas Neues gäbe. Die Protagonistin hat eine Stelle gefunden. Ob Frau König das versteht oder nicht, ist nicht so relevant. Wichtig ist, dass die Protagonistin den Wald und das Meer in sich entdeckt hat und einen Freund gefunden, mit dem sie eine Sprache teilt.
Leidmedien.de: Wie sind Sie mit den verschiedenen Ebenen der Lyrik und Poesie umgegangen? Wie erging es ihnen dabei, Metaphern und sprachliche Bilder in Einfache Sprache umzusetzen?
Alexandra Lüthen: Ich verlasse mich darauf, dass es Bilder gibt, die vielen Menschen ein vertrautes Zuhause bieten. Je einfacher und wahrer ein Bild ist, desto offener ist der Zugang dazu. Ich muss dazu meine Eitelkeit ablegen, darf nicht Originalität über Wahrheit stellen und entdecke dann, dass ein bekanntes Bild nicht abgegriffen ist, wenn es für die Protagonistin der Geschichte eine persönliche Bedeutung hat.
Leidmedien.de: Sind die Geschichten in Ihrem Buch miteinander verwoben? Wer sind die Figuren, über die Sie schreiben?
Alexandra Lüthen: Nein, die Geschichten stehen für sich. Die ProtagonistInnen haben keine realen Vorbilder, wie auch in meinen anderen Texten nicht. Und es gibt für mich keinen Unterschied zwischen den ProtagonistInnen von Geschichten in schwerer oder Einfacher Sprache. Wenn ich anfange zu schreiben, sind es einfach Charaktere, denen ich folge und die sich im Text entwickeln. Ob da jetzt alle behindert sind, oder nicht, das weiß ich nicht mal selber.
Leidmedien.de: Welche Unterschiede herrschen Ihrer Meinung nach zwischen der Einfachen und der Leichten Sprache?
Alexandra Lüthen: Die Grenzen zwischen Einfacher und Leichter Sprache sind nicht ganz so klar zu ziehen. Ein Verlag hat mein Manuskript mit der Begründung abgelehnt, es wäre ja eher Leichte Sprache und sie hätten den gehobenen Anspruch, in Einfacher Sprache zu veröffentlichen.
Ich finde, dass es einen Unterschied geben muss in der Funktion von Texten. Informationstexte sollen so klar und übersichtlich wie nur möglich formuliert werden. Im Bereich der Belletristik ist es aber so, dass auch die nächsthöhere Sprachebene funktionieren kann, wenn der Grundrhythmus klar genug ist.
Mein Anspruch beim Erzählen ist, dass die Geschichte so gut gearbeitet ist, dass auch die Leserin oder der Leser auf hohem Niveau das Gefühl hat, eine Geschichte erzählt zu bekommen.
Und da traue ich mich auch mal, einen längeren Satz einzufügen oder einen Konjunktiv oder ein Wort wie „Tränenwut“ oder eben „Bärenzart“. Ich muss und darf bei Einfacher Sprache sorgfältiger in Rhythmusstrukturen arbeiten, kann mich nicht auf gewagte Satzpirouetten verlassen, die die Leser in der Höhenluft tanzen lassen. Einfache Sprache ist viel erdiger und bodennäher, da lege ich großen Wert auf die Hebungen und Senkungen im Satzbau.
Leidmedien.de: Wer ist Ihre Zielgruppe?
Alexandra Lüthen: Eine schöne Frage. Menschen, die offen sind und Lust haben, anderen Menschen zu begegnen. Die Freude daran haben, sich zu spüren, die sich wiedererkennen, spiegeln und abgrenzen wollen von anderen. Leute, die gerne nachdenken, die gerne mit Ideen spielen, die keine Angst haben, Fragen zu stellen und die die Antworten aushalten können.
Das Interview führte Judyta Smykowski. Eine Rezension in Einfacher Sprache findet sich hier.

Autorin Alexandra Lüthen. Copyright: Privat
Aexandra Lüthen
„Bärenzart“, Passantenverlag
56 Seiten
12 Euro
Links:
- Alexandra Lüthen: „Bärenzart“, Passanten Verlag
- Webseite von Alexandra Lüthen
- Bundeszentrale für politische Bildung: Artikel zum Unterschied zwischen Einfacher und Leichter Sprache
Titelbild: Der Erzählband „Bärenzart“. Bild: Passanten Verlag