Ein Leben mit Behinderung ist Pride, ist Lifestyle. Und vor allem ganz normal. Weltweit und in verschiedenen Städten zeigen das Menschen mit verschiedenen Behinderungen auf der Disability Pride Parade. Andrea Schöne war auf der Disability Pride Parade in Berlin.

Ein Leben voller Freude, Glitzer, bunt und fröhlich? – Das ein Leben mit Behinderung auch so aussehen kann, ist für einige Menschen ohne Behinderung oft unvorstellbar. Viele Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft ohne Behinderung denken, dass ein Leben mit Behinderung traurig und bemitleidenswert sei. Am besten sollen ihrer Meinung nach, behinderte Menschen lieb und dankbar sein und auf keinen Fall eine eigene Meinung haben. Auch ich als junge Frau mit Behinderung kenne all die Vorurteile. Die Disability Pride Parade räumt mit Stereotypen über behinderte Menschen auf und setzt sich gegen deren Diskriminierung ein.

Was ist Disability & Mad Pride?

Disability Pride ist Englisch und bedeutet übersetzt: Stolz sein auf eine Behinderung und das Leben mit einer Behinderung. Mad Pride kommt auch aus dem Englischen und bedeutet übersetzt: Stolz verrückt zu sein und geht auf eine Bewegung von Psychiatrieerfahrenen zurück. Auf einer Disability & Mad Pride Parade feiern behinderte Menschen sich selbst und ihren Lebensstil. Genauso wie die queere Community auf dem Christopher Street Day.

Einige provozieren, indem sie sich selbst als „Krüppel“, „Verrückte“, „Gestörte“ oder „Freaks“ bezeichnen. Die Disability & Mad Pride Bewegung greift damit Gedanken aus anderen emanzipatorischen Bewegungen auf. Wie auch schon viele marginalisierte Gruppen vor ihnen, eignen sie sich damit negative, abwertende Ausdrücke positiv an und nutzen sie als Eigenbezeichnung.

Menschen mit Behinderung zeigt euch: Warum gibt es Disability & Mad Pride Parades?

Warum Disability Pride Parades so wichtig sind, hat Theresia Degener auf der Disability Pride Parade 2013 in Berlin sehr treffend beschrieben:

1. Ein Ziel der Pride Parades ist, ganz neu zu definieren was überhaupt eine Behinderung ist. Nach dem medizinischen Modell von Behinderung haben behinderte Menschen vor allem ein medizinisches Problem, das unbedingt kuriert werden muss. Davon muss sich das gesellschaftliche Denken endlich lösen hin zu einem sozialen Modell von Behinderung, ganz nach dem Motto: „Ich bin nicht behindert, ich werde behindert.“ Theresia Degener spricht dabei in ihrer Rede vom Menschenrechtsmodell von Behinderung. Die Rechte von behinderten Menschen sind keine Sozialpolitik, sondern Menschenrechte.

2. Wer immer wieder Diskriminierung und Ablehnung erfährt, der will vielleicht irgendwann nicht mehr auf die Straße gehen. Einfach um nicht noch mehr diskriminiert zu werden. Oder man hat die Diskriminierungen der Unterdrücker*innen verinnerlicht und kämpfen erst gar nicht dagegen an. Disability & Mad Pride brauchen behinderte und psychiatrieerfahrene Menschen, um gestärkt gegen Diskriminierungen zu kämpfen. Die Disability & Mad Parade kann ein erster Schritt sein, sich selbstbewusst vor anderen Menschen zu zeigen und Respekt einzufordern.

3. Das Leben ist bunt. Das zeigt auch die Disability & Mad Pride Parade ganz deutlich. Hier feiern sich behinderte Menschen  als Teil der Vielfalt der Menschen. Eine Behinderung soll als Lebensstil wahrgenommen werden. Gleichzeitig sind behinderte Menschen auch nicht „nur behindert“. Sie sind jung oder älter, People of Color, Menschen mit Migrationsgeschichte und noch vieles mehr.

Die Entstehungsgeschichte der Pride Parade

Die allererste Disability Pride Parade fand 1990 in Boston in den USA statt und wurde ein Jahr später wiederholt. Danach gab es erst wieder am 18. Juli 2004 die nächste Parade, diesmal in Chicago. Bis heute findet sie jedes Jahr im Juli statt. Danach entwickelten sich in immer mehr amerikanischen Städten Parades und auch weltweit hat sich die Bewegung in verschiedene Länder verbreitet.

Die Mad Pride Parade geht auf psychiatrische (Ex-)Patienten aus der Selbsthilfe- und Selbstvertretungsbewegung in den 1970er Jahren zurück. Im englischsprachigen Raum entwickelte sich die Selbstbezeichung „Psychiatric Survivor“ oder auch „consumer/survivor/ex-patient“, um wortwörtlich zu zeigen, dass sie psychiatrische Behandlungen überlebt haben. Die erste Mad Pride Parade fand am 18. September 1993 in Toronto unter dem Titel „Psychiatric Survivor Pride Day“ (= Tag des Stolzes der Psychiatrieüberlebenden) statt. Ziel war die Bekämpfung von Stigmatisierung, hin zur Sichtbarkeit und Akzeptanz von Menschen mit psychiatrischer Geschichte. Traditionell wird bei der Parade immer ein Krankenbett mitgeführt. Das symbolisiert den Weg von Psychiatrieerfahrenen von der Anstalt in die Gemeinde.

Wo gibt es überall Disability & Mad Pride Parades?

Wie viele Disability & Mad Pride Parades es weltweit gibt, ist schwer zu sagen. Die meisten Parades finden immer noch in den Vereinigten Staaten statt. Es gibt aber auch beispielsweise Parades in Großbritannien, Neuseeland, Italien und Deutschland. Am 13. Juni fand dieses Jahr in München die „Behinderung ist Rebellion – Parade“ statt und am 23. Juni in Berlin die „Verrückt und behindert feiern – Parade“.

In den Vereinigten Staaten und in Afrika wählen Veranstalter*innen der Parade häufig das Datum 14. Juli, den Jahrestag der Erstürmung der Bastille, für die Parade aus. Die erste kontinentaleuropäische Mad-Pride-Parade war 2007 in Brüssel. Deutschlands erste Mad Pride Parade war am 13. Juli 2013 – unter dem Namen: „Disability & Mad Pride Parade 2013“. Am 25. Mai folgte die erste Mad Pride Parade Köln im Rahmen des Sommerblut-Festivals.

Das war die Disability & Pride Parade 2018 in Berlin

Letzten Samstag nahmen laut den Veranstalter*innen rund 1100 Menschen an der Parade teil. Mit einem Paradewagen zogen alle Demonstrant*innen vom Hermannplatz in Berlin bis zum Südblock. Alle Redebeiträge wurden in die Deutsche Gebärdensprache übersetzt. Während der Parade gab es auch noch ein Awareness- und Sprachunterstützungsteam. Um auf jeden Menschen Rücksicht zu nehmen, war es nur erlaubt Fotos von Menschen zu machen, die vorher gefragt wurden. Daher sind auch einige Gesichter auf den Fotos unkenntlich gemacht.

Zur Begrüßung gab es einen Redebeitrag mit Schlagzeilen aus Deutschland und der Welt, die die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung thematisierten. Ein Beispiel erwähnte behinderte Menschen mit Assistenzbedarf in Ingolstadt, die um Kosten einzusparen, in einem Altersheim wohnen müssen oder das Land Frankreich, das nur noch 10% barrierefreie Wohnungen bauen lässt.

Der Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg und der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener erklärte wie die Patientenverfügung vor ungewollter Diagnostizierung psychiatrischer Befunde schützt. Weitere Themen waren der Umgang von Menschen mit Erfahrung von sexueller Gewalt sowie das bayrische Psychiatriegesetz.

Der taube Aktivist Martin erklärte, warum Musikdolmetschen für ihn gehörlose Menschen unterdrücke. Die Gebärdensprachdolmetscher*innen erlangen mehr Aufmerksamkeit als gehörlose Künstler*innen. Auch fragten die Medien vor allem die Gebärdensprachdolmetscher*innen zur Gehörlosenkultur und nicht gehörlose Menschen selbst. Er forderte, dass Gebärdensprachdolmetscher*innen mit gehörlosen Menschen zusammenarbeiten und sich die Berufs- und Ehrenordnung ändern muss.

Zum Schluss wurde noch die Glitzernde Krücke vergeben. Sie ist ein Negativpreis an Institutionen, Unternehmen oder Personen, die behinderte Menschen ganz besonders ausgrenzen. Zur Auswahl standen in diesem Jahr die AfD, das Bayrische Psychiatriegesetz und eine denkwürdige Werbung von PayPal. Gewonnen hat das Bayrische Psychiatriegesetz. Ich gratuliere!

Wenig Medienpräsenz

Die Berichterstattung über die Disability & Mad Pride Parade fiel leider eher gering aus. Es gab lediglich einen Vorbericht in der taz, eine Umfrage vom rbb auf der Parade mit Demonstrierenden und ein Interview in der Siegessäule mit der Aktivistin Anna vom Orga-Team. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, was Disability Pride mit Queerness zu tun hat. Es gibt noch viel zu tun, dass Disability Pride auch hier präsenter wird.

Fotos: Matthias Jakoby