Wenn blinde Menschen soziale Medien wie Twitter und Facebook nutzen, stoßen sie hierbei immer wieder auf Barrieren. Es gibt aber auch positive Entwicklungen. Heiko Kunert über aktuelle Tools für mehr Barrierefreiheit im Netz.

Texte hören oder erfühlen – so surfen sehbehinderte und blinde Menschen im Web. Dafür nutzen sie technische Hilfsmittel wie die synthetische Sprachausgabe (Screenreader), die Texte vorliest, und die Braillezeile, über die sie die Texte über Punktschrift ertasten. Auch in sozialen Netzwerken sind sehbeeinträchtigte Menschen zunehmend unterwegs – aber oft mangelt es dort noch an Barrierefreiheit, so dass ihre Hilfstechnologie die Inhalte nicht sinnvoll wiedergeben kann. Viele sehende Menschen sind sich der Barrieren nicht bewusst. Dabei gibt es schon kleine Tricks, die jede/r einfach umsetzen kann. Zu unterscheiden sind Seiten, die ich als blinder Nutzer aufrufe, und Tools, die sehende Nutzer*innen zur Beschreibung von Bildern zusätzlich nutzen können.

Barrierefreie Twitter-Tools

Um bei Twitter die Timeline zu verfolgen, können blinde Nutzer*innen beispielsweise Seiten wie Easychirp.com aufrufen. Hier wird die Twitter-Timeline auf einer Website so aufbereitet, dass sie barrierefrei navigierbar ist – mit einer im HTML ausgezeichneten Überschriften-Struktur und einer schlichten und logischen Darstellung der Inhalte und Bedienelemente.

Ein Blauer Vogel mit weit offenem Schnabel winkt. Es ist das Symbol der Firma Twitterrific.

Screenshot: Twitterrific

Daneben gibt es einige Apps für den PC wie Chicken Nugget oder The Qube. Ihnen ist gemein, dass sie vollständig mit Kurztasten-Befehlen bedienbar sind und aus jeder Anwendung heraus angesteuert werden können. Sprich: Die Nutzerinnen und Nutzer müssen zum Beispiel nicht ihr Textverarbeitungs- oder Mailprogramm verlassen, um schnell einen Tweet abzusetzen. Stattdessen drücken sie einfach strg+alt+t und das Tweet-Fenster öffnet sich.

Viele blinde Menschen nutzen übrigens das iPhone, da es mit VoiceOver standardmäßig einen sehr ausgereiften Screenreader hat. Auch hier gibt es Twitter-Apps, die besonders gut nutzbar sind, zum Beispiel Twitterrific oder Tweetlist.

Alternativtexte für Bilder

Vielleicht haben einige sehende Nutzer*innen von Twitter schon von dem Tool „Twitpicdescription“ gehört. Lange vor Twitter hatte bereits der Webdesigner Fritz Weisshart das Problem mit den fehlenden Bildbeschreibungen erkannt. Er wies jedoch 2013 in einem Blogpost darauf hin, dass sein Werkzeug zwei Dinge verlange: Zum einen ein bisschen Mühe, da der sehende Nutzer eine kurze Bildbeschreibung verfassen müsse, und zum anderen benötige dieser erst einmal ein Problembewusstsein.

Jetzt tut auch Twitter selbst einiges, um die hauseigenen Anwendungen besser zugänglich zu machen. Seit März 2016 gibt es eine Funktion, die es ermöglicht, Bildern Alternativtexte zuzuordnen – bisher aber nur über’s Smartphone. Diese Alternativtexte bleiben für den sehenden Twitter-Nutzer unsichtbar, werden aber von Screenreadern erkannt und dann via Sprachausgabe und Braillezeile ausgegeben.

Facebook: Problembewusstsein oder künstliche Intelligenz

Den zusätzlichen Aufwand Texte zu beschreiben versucht Facebook zu umgehen. Das soziale Netzwerk setzt auf künstliche Intelligenz und automatisierte Objekt-Erkennung. Zunächst nur in Englisch und in der iOS-App verfügbar, werden hier seit April 2016 automatisch Bildbeschreibungen generiert. Der Vorteil: Für jedes Bild wird ein Alternativtext erstellt, ohne dass der sehende Nutzer aktiv werden muss. Der Nachteil: Die Software kann nur sehr grobe Informationen über den Bildinhalt ausgeben – Zum Beispiel: „Bild dürfte drei Personen zeigen, lächelnd, im Freien.“ Außerdem kann sie die Bilder nicht in einen Kontext einordnen. Dennoch ist Facebooks Initiative ein wichtiges Signal und ein Schritt in die Richtige Richtung. Wer sich nicht auf Facebooks künstliche Intelligenz verlassen will, hat aber weiterhin die Möglichkeit, hochgeladenen Fotos Bildunterschriften hinzuzufügen.

Und wie sieht es sonst aus mit der Barrierefreiheit auf Facebook? Gut. iOS-App und Website sind für blinde Nutzer*innen zugänglich. Auf Anregungen aus der Community wird in der Regel zügig mit Updates reagiert. Außerdem steht man im Austausch mit US-amerikanischen Blindenorganisationen. Facebook ist hier seinem Konkurrenten Google deutlichvoraus. Trotz der prinzipiellen Zugänglichkeit ist vielen blinden Menschen die Facebook-Seite aber zu unübersichtlich. Sie weichen daher auf die mobile Seite m.facebook.com aus, die deutlich schlanker ausfällt.

Fazit

Soziale Medien sind also auch für blinde Menschen mehr oder minder gut nutzbar. Ein Trend bleibt allerdings eine Herausforderung: die zunehmende Bedeutung des rein Visuellen. Selbst mit Alternativtexten schaffen Fotos und Videos zwangsläufig ein Gefälle zwischen sehenden und blinden Internetnutzer*innen. Bei einer rein textbasierten Kommunikation spielt die Behinderung keine Rolle. Deshalb stellen Twitter und Facebook oder auch LinkedIn und Xing prinzipiell inklusive Plattformen dar, auf denen sich blinde und sehende Menschen auf Augenhöhe begegnen können. Bei Pinterest, Instagram und Snapchat scheint dies noch undenkbar. Übrigens: Während Bilder auf den Twitter-Profilen des ZDF, des Regierungssprechers oder des Arbeitsministeriums keine Alternativtexte haben, ist das für die New York Times aus den USA selbstverständlich, wo das Thema Barrierefreiheit ohnehin einen deutlich höheren Stellenwert genießt als in Deutschland.

Titelbild: Gerd Altmann Pixabay, Lizenz: CC0 Public Domain