Viele Erfahrungen, die Marlies Hübner, Denise Linke und Aleksander Knauerhase gemacht haben, ähneln sich. Viele Aussagen in ihren Texten auch. Erstaunlicherweise hat dennoch jede/r ihren bzw. seinen ganz eigenen Weg gefunden, zu diesen Aussagen zu kommen. Denn die Bücher selbst könnten unterschiedlicher nicht sein. Und so bestätigen die Autor*innen ungeplant eine Kernaussage, die in allen drei Büchern vorkommt: Es gibt nicht den Autisten, die Autistin. Das autistische Spektrum ist breit, die Ausprägung der autismustypischen Merkmale ist immer unterschiedlich. Deshalb ist auch jeder autistische Mensch ganz individuell.
Aleksander Knauerhase – Autismus mal anders. Einfach, Authentisch, Autistisch

Bild: Johannes Mairhofer
Aleksander Knauerhase hat sein Buch „Autismus mal anders“ im Eigenverlag herausgebracht. Entstanden ist ein persönliches Sachbuch, aufbauend auf den Einträgen seines Blogs „Quergedachtes“. Knauerhase möchte authentisch und verständlich Autismus aus der Innenperspektive beschreiben und aufzeigen, was es bedeutet, als Autist in der heutigen Gesellschaft zu leben. Dies gelingt ihm auf den rund 200 Seiten sehr gut. Dazu erklärt er zunächst seine eigene Wahrnehmungswelt und zeigt typische Fehlinterpretationen autistischen Verhaltens in der Öffentlichkeit auf. Es gelingt ihm, in verständlicher Sprache und mit sehr lebensnahen Erklärungen zu demonstrieren, auf welche Schwierigkeiten Autist*innen im Alltag durch ihren eingeschränkten Reizfilter treffen. Zum Beispiel beim Arztbesuch im Wartezimmer: „Da gibt es die Smartphonefummler, die nichts anderes machen, als […] die Umgebung mit Spielesounds oder Wischgeräuschen zu unterhalten. […] Der „Guten Morgen!“-Brüller ist eigentlich eine nette Spezies von Mensch. Für Autisten jedoch problematisch […] Und wo die „Guten Morgen!“-Brüller sind, ist die Plaudertasche nicht weit. Man glaubt gar nicht welche Informationen man in einem Wartezimmer so mitbekommt, ohne das eigentlich zu wollen. Wirklich schlimm sind aber die „Zeitschriften-Durchwühler“ […]“.
Doch bei einer reinen Beschreibung belässt es Knauerhase nicht: Mit der „Autism Awareness“-Bewegung geht er sogar hart ins Gericht. Denn ihm reicht es nicht, nur darauf hinzuweisen, dass Autismus existiert und auch die Selbstbeschreibung autistischer Wahrnehmung ist ihm nicht genug. Knauerhase will den gesellschaftlichen Umgang mit autistischen Menschen verändern. Daher beschäftigt er sich auch mit den Themen Inklusion, dem Schulsystem oder der Berichterstattung über autistische Menschen. Zudem ist das Buch gespickt mit „Gedanken“ – Texten, die nicht direkt Autismus beschreiben, aber Denkanstöße geben sollen – beispielsweise zu der Frage „Was ist eigentlich normal?“, zum Umgang der Weltgesundheitsorganisation mit Autismus oder zu Knauerhases Rezeption von Kunst. „Autismus mal anders“ beleuchtet das Thema Autismus also sehr vielschichtig und Aleksander Knauerhase schreckt auch nicht vor Kritik an der Autismus-Bewegung zurück.
Fazit: Ein Buch, durch das man sehr viel über autistische Wahrnehmung lernt und Denkanstöße zum gesellschaftlichen Umgang mit Autismus erhält. Wer sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen möchte, aber keine Lust auf trockene Texte aus der Wissenschaft hat, dem sei Knauerhase empfohlen.
Pressestimmen:
- „[A]bsolut lesenswert für jeden, der von einem eloquenten Autor mehr über das Leben mit Autismus erfahren möchte.“ Silke Bauernfeind (ellasblog.de)
- „Ein gut verständliches Sachbuch.“ Christine Dressler (Wiesbadener Kurier)
Denise Linke – Nicht normal, aber das richtig gut. Mein wunderbares Leben mit Autismus und ADHS

Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
Wie der Titel verrät, liegt bei Denise Linke nicht nur eine Autismus-, sondern zusätzlich eine ADHS-Diagnose vor. Für Linke ist das kein Grund sich zu verstecken. Dass deswegen immer alles einfach war, sollte man aber nicht glauben. Auch Denise Linke beschreibt in ihrem Buch – das eher an einen Roman als an eine Autobiografie erinnert – zahlreiche Probleme, vor denen sie als nicht-diagnostizierte Autistin in ihrer Kindheit und Jugend stand: „Small-Talk zu beherrschen, zählt zu den wichtigsten Eigenschaften, um von Neurotypischen als Rudelmitglied akzeptiert zu werden.“ Der Text ist dabei so frisch, lebenslustig und kurzweilig geschrieben, dass der Leser alle Berührungsängste mit dem Thema Autismus schnell verliert. Das liegt vor allem daran, dass Linke in ihren jungen Jahren schon unglaublich viel Spannendes erlebt hat. Zum Beispiel in einer verdreckten Hippie-WG in Los Angeles mit unzähligen Mitbewohnern zu wohnen (in der übrigens ihr Autismus zum ersten Mal „diagnostiziert“ wurde). Oder, alleine nach Brasilien zu einem Brieffreund zu reisen. Unübersichtliche Situationen würden viele Autist*innen wohl eher meiden – Denise Linke nicht. Sie sieht es als ein Zusammenspiel ihrer Persönlichkeit und ihrem ADHS: „Bevor mein Autismus überhaupt mitbekam, was geschah, saß ich schon im Flieger.“
Denise Linke räumt in 26, mit popkulturellen Anspielungen gespickten Kapiteln, scheinbar nebenbei mit den gängigen Vorurteilen gegenüber autistischen Menschen auf. Sie kritisiert den Umgang mit Autismus im Bildungssystem oder in den Medien, spricht über ihre Erfahrungen mit medikamentöser Behandlung und erläutert die Entstehungsgeschichte von „N#mmer“, einem Magazin „für Autisten, AD(H)Sler und Astronauten“, welches sie seit 2014 herausgibt. Dabei bleibt das Buch spannend wie ein Roman und man kann es nur schwer aus der Hand legen.
Fazit: Wer „Nicht normal, aber das richtig gut“ liest, lernt viel über Autismus, ohne es sofort zu merken. Das Buch ist sehr sympathisch geschrieben und zeigt, dass Autismus nicht automatisch Leid bedeuten muss – denn allen Menschen fehlt etwas, die Frage ist nur, wie die Gesellschaft damit umgeht.
Pressestimmen:
- „Denise Linke hält ein Plädoyer für Inklusion und das Anders-Sein.“ (VdK-Zeitung)
- „Mit Witz und Charme erzählt die Autorin von ihrem außergewöhnlichen Leben – und zeigt auf, was unsere Gesellschaft von denen lernen kann, die anders sind.“ (Berner Zeitung)
- „Charmant und witzig erzählt sie von ihrem ungewöhnlichen Leben. Sie möchte mit dem Buch zeigen, was die Gesellschaft von Menschen, die anders sind, lernen kann.“ (Petra Steinborn, socialnet.de)
Marlies Hübner – Verstörungstheorien. Die Memoiren einer Autistin, gefunden in der Badewanne

Bild: Schwarzkopf Verlag
Das schwerste, aber damit vielleicht auch das wichtigste der drei Bücher hat Marlies Hübner geschrieben. Die Bloggerin und Autorin schreibt in ihren „Verstörungstheorien“ über die autistische Elisabeth. Wie viel von Hübners eigener Biografie in den Memoiren „aus der Badewanne“ steckt, wird auch im Nachwort nicht ganz klar. Es ist allerdings davon auszugehen, dass ein großer Teil des Erzählten aus eigenen Erfahrungen stammt. Von Beginn an ist die Stimmung des Buchs bedrückend, man spürt förmlich das Unwohlsein der (noch) nicht diagnostizierten Protagonistin Elisabeth. Schon im zweiten Kapitel kommt es zu einer ungesühnten Vergewaltigung, und die wiederkehrende sexuelle Ausbeutung der autistischen Hauptfigur lässt den Leser mit einem erdrückenden Gefühl zurück. Marlies Hübner beschönigt in ihrer Erzählung nichts und zeigt eindrucksvoll auf, welche Schwierigkeiten sich für autistische Menschen in unserer Gesellschaft ergeben können. Gerade so lange sie noch nicht diagnostiziert sind und daher die Schuld für die Probleme im Alltag in der eigenen Unzulänglichkeit suchen.
Doch auch die Diagnose ist für die Hauptfigur Elisabeth keine Erlösung: „Es mag Menschen geben, denen die Gewissheit über ihren Zustand sofortigen Halt gibt; leider gehörte ich nicht zu ihnen. In mir löste die Diagnose Angst aus und den fatalistischen Gedanken, mit Mitte zwanzig unabänderlich am Leben gescheitert zu sein.“ Auch hier vermeidet es Hübner, in romantische Klischees zu verfallen, und das Buch in Richtung Happy End zu steuern. Doch ein wenig Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebenssituation von Elisabeth schimmert dann doch noch durch.
Fazit: Marlies Hübner versucht in „Verstörungstheorien“ ein möglichst komplexes und facettenreiches Bild einer Autistin zu vermitteln, auch wenn ihr klar ist, dass diese Beschreibung kein allgemeingültiges Bild sein kann. Ebenso weiß sie, dass für das Verständnis für Autist*innen eine positivere Darstellung vielleicht förderlicher wäre, doch sie sieht sich dazu nicht in der Lage: „Ein autistisches Leben ist wie jedes andere Leben auch geprägt von Höhen und Tiefen. Nur dass die Voraussetzungen, diese Tiefen auch zu meistern, für Autisten deutlich schlechter sind.“ Hübner möchte ein autistisches Leben nicht besser oder schlechter bewerten, sondern einfach nur aufzeigen, wohin fehlendes Verständnis führen kann. Und das tun die „Verstörungstheorien“ schonungslos.
Pressestimmen:
- „Große Leistung, sowie viele Parallelen. Bravo!“ Aada K. Lopez (aadaspie.blogspot.de)
- „Marlies Hübner aus Stuttgart gibt in ihrem Erstlingswerk „Verstörungstheorien“ spannende Einblicke in ihr Leben mit Autismus.“ Wenke Böhm (Stuttgarter Zeitung)
Titelbild: Die drei Autor*innen: Denise Linke, Marlies Hübner und Aleksander Knauerhase
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