#notjustsad und #ausderklapse: Jana Seelig und Uwe Hauck haben einen öffentlichen Social-Media-Diskurs über Depressionen und andere psychische Beeinträchtigungen im deutschsprachigen Raum initiiert und als Autor*innen Autobiografien veröffentlicht. Wie gehen Medien in ihrer Berichterstattung damit um?
„Mental Health Talks“ – also Gespräche über mentale Gesundheit – sind im englischsprachigen Raum fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses und sorgen für einen interaktiven Austausch auf Augenhöhe zwischen betroffenen Menschen und ihren Angehörigen sowie Vertreter*innen des Gesundheitssystems und der Medien. Im deutschsprachigen Raum steht dieser Diskurs dagegen noch am Anfang.
Bis vor einigen Jahren war es allenfalls üblich, dass Ghostwriter*innen – meist mit journalistischem Hintergrund – die „Leidensgeschichte“ von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen aus der Ich-Perspektive schilderten. Die Aufzeichnungen wurden entweder als Beitrag in Sammelbänden oder als eigenes Buch veröffentlicht; später auch als „Erfahrungsberichte“ auf spezialisierten Online-Portalen aus dem Gesundheitswesen.
Erst in der jüngeren Vergangenheit treten Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen auch als Autor*innen in Erscheinung, die den öffentlichen Diskurs aktiv mitgestalten – sei es auf ihren Social-Media-Kanälen oder Blogs, als Gastautor*innen in den Medien oder als eigenständige Verfasser*innen von Autobiografien. Die mediale Berichterstattung darüber folgt allerdings nicht immer den Empfehlungen von Expert*innen, wie der Blick auf zwei Menschen mit Depressionen zeigt, über die in den Medien häufig berichtet wird.

Jana Seelig: „Minusgefühle. Mein Leben zwischen Hell und Dunkel“
Jana Seelig veröffentlichte 2015 ihre Autobiografie „Minusgefühle. Mein Leben zwischen Hell und Dunkel“. Neben ihrem autobiografischen Werdegang erzählt sie darin auch von ihren Erlebnissen rund um den Hashtag #notjustsad, den sie im November 2014 aus einem persönlichen Motiv heraus auf Twitter verwendete, und der sich innerhalb weniger Stunden als „viraler Hit“ herausstellte. Dabei kritisiert sie auch die klischeehafte Darstellung in den Medien: „Die meisten […] beschreiben mich als düsteres Wesen, das mit dunkler Kleidung und dunklem Lippenstift mit seiner Depression kokettiert, dabei sind ganz sicher nicht alle meiner Outfits schwarz, und der Lippenstift ist meistens pink […]“ (S. 183). Und weiter unten: „Die Figur, die da im Internet zu ihren Lesern spricht, das bin im seltensten Fall ich – aber das sind eben solche Dinge, die die Medien nicht zu interessieren scheinen, solange sie eine gute Story drum herum aufbauen können.“
Jana Seelig in den Online-Medien
Nicht alle Verlage berichten so oberflächlich, wie Seelig es in ihrem Buch beschreibt. Die Süddeutsche Zeitung etwa beschränkt sich im November 2014 nicht darauf, ihre öffentlichen Äußerungen wie andere Medien lediglich zu dokumentieren bzw. zu zitieren. Darüber hinaus finden sich in den beiden SZ-Artikeln „Wenn du meinst zu ertrinken, während alle um dich atmen können“ und „Wie @isayshotgun gegen das Schweigen kämpft“ auch Beschreibungen der Krankheit und ihrer Symptome sowie ein Info-Kasten mit Hilfsangeboten für Betroffene.
Ein weiteres positives Beispiel ist der Artikel „Es kann jeden treffen“ im Tagesspiegel, der neben persönlichen Aussagen von Jana Seelig auch einordnende Zitate eines psychiatrischen Facharztes enthält. Leider reproduziert hier die Bildunterschrift: „[…] Depressive haben häufig das Gefühl, unentrinnbar in einer Stimmung tiefer Trauer gefangen zu sein“ ein falsches Klischee, da sich Depression häufig gerade als Abwesenheit jeglicher Gefühle äußert. Auch transportiert das Artikelbild der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung Klischees über Menschen mit Depressionen, indem es einen Menschen mit aufgespanntem Regenschirm allein auf einem ins Wasser führenden Steg in Schwarz-Weiß-Optik zeigt. Besonders wichtig ist jedoch, dass immer wieder einordnende Elemente oder Info-Kästen mit Hilfsangeboten fehlen (siehe Tagesspiegel oder HuffPost).

Jana Seelig als Autorin in den Medien
Jana Seelig wird in der Öffentlichkeit weniger als Autorin und mehr als Erfahrungsexpertin wahrgenommen. Darüber spricht sie auch in der Sendung „Redaktionskonferenz“ von Deutschlandfunk Nova. Darin wechseln sich Interviewpassagen mit Zitaten aus dem Buch ab. Hinzu kommen ein Bericht mit älteren O-Tönen und ein Kolleg*innen-Gespräch, in dem weitere Betroffene, die über Depressionen schreiben, vorgestellt werden. Das Interview behandelt sowohl Symptome als auch Tipps zum Umgang mit Depressionen und spricht dabei auch das Thema Suizidgedanken an.
Leider fehlen weitere einordnende Elemente: Kurze Einspieler, die Fakten und Hilfsangebote kompakt zusammenfassen, oder O-Töne von professionellen Expert*innen wären hier wünschenswert gewesen. Ein gutes Beispiel ist dagegen das Online-Magazin „im gegenteil“: Das dort veröffentlichte Feature mit Jana Seelig ist eine Mischung aus Rezension, Interview sowie ergänzenden Hintergrundinformationen und weiterführenden Hilfsangeboten zum Thema Depression.

Uwe Hauck: „Depression abzugeben. Erfahrungen #ausderklapse“
Uwe Hauck schreibt in seiner Autobiografie „Depression abzugeben. Erfahrungen #ausderklapse“ über seine Erlebnisse und Erfahrungen in der stationären und teilstationären Psychiatrie, die er zuvor öffentlich und quasi „live“ auf Twitter mit dem Hashtag #ausderklapse begleitet hatte. Er setzt sich dabei kritisch mit der Beziehung zwischen Betroffenen und Vertreter*innen des Gesundheitssystems auseinander. Der Auslöser für seine Behandlung war ein gescheiterter Suizidversuch. Dies ist ein heikles Thema im Journalismus. Um den so genannten Werther-Effekt, also eine mögliche Nachahmung zu vermeiden, empfehlen Expert*innen beispielsweise der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und der Stiftung Deutsche Depressionshilfe hierbei einen besonders sensiblen, insgesamt eher zurückhaltenden Umgang in der journalistischen Berichterstattung.
Uwe Hauck in den Online-Medien
Eine vorbildliche Herangehensweise in der Berichterstattung über Uwe Hauck findet sich bei der Osnabrücker Neuen Zeitung. Der Artikel „Erfahrungen #ausderklapse: Autor berichtet über Psychiatrie“ enthält zusätzlich zu einordnenden und erklärenden Elementen zu Textbeginn einen Trigger-Hinweis und persönliche Tipps von Hauck zum Umgang mit Panikattacken. Abschließend werden zugängliche Hilfsangebote genannt bzw. verlinkt und es findet sich eine erklärende Information zum Trigger-Begriff.
In einem Gastbeitrag von Uwe Hauck für das Blog der HuffPost sind TriggerHinweis und Info-Kasten ebenfalls enthalten. Allerdings wird hier ein anderer Blog-Artikel verlinkt, bei dem diese Elemente fehlen – ebenso wie in dem oben angeführten Gastbeitrag von Jana Seelig. Redaktionen sollten in diesem Zusammenhang auch ältere Beiträge überprüfen und gegebenenfalls nachbessern. Das gilt auch für die Berichte über Hauck in der Sendung „Hielscher oder Haase“ (Deutschlandfunk Nova) sowie die österreichischen Medienberichte in „Die Presse“ und „Kleine Zeitung„.
Eigentlich sind in der Klapse eher normale Menschen, die mit dem Wahnsinn da draußen nicht mehr fertig werden. #ausderklapse
— Uwe Hauck ???? (@bicyclist) 27. April 2015
Uwe Hauck als Autor in den Online-Medien
Auf Focus Online schreibt Uwe Hauck regelmäßig als Erfahrungsexperte über sein Leben mit Depressionen. Seine Artikel enthalten jeweils einen Kasten mit unterschiedlich formulierten redaktionellen Hinweisen auf verschiedene Hilfsangebote. Im Artikel „Depressions-Kranker erzählt: ‚In der Psychiatrie sitzen die normalen Menschen‘“ findet sich darüber hinaus die redaktionelle Anmerkung: „Wir haben uns in diesem Fall entschieden, über ein Suizid-Thema zu berichten.“ Hier wird der thematische Interessenkonflikt zwar allgemein anerkannt bzw. erwähnt, jedoch zugleich – ohne Gründe zu nennen – als Einzelfallentscheidung zurückgewiesen. Auch die Wortwahl „Depressions-Kranker“ ist eher ungünstig, weil sie den davon betroffenen Menschen auf ein singuläres Merkmal reduziert.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass in jedem Artikel von Uwe Hauck der von Focus Online herausgegebene PDF-Ratgeber „Nur traurig oder schon depressiv“ verlinkt ist, erhältlich im hauseigenen Online-Shop und dort so beworben: „Schwere Depressionen können Betroffene in den Suizid treiben […] Finden Sie einen Ausweg aus der Krise!“ Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Journalismus und Content Marketing.
Mehr Infos zu Hilfsangeboten und Betroffene im Interview
Die vorgestellten Fälle zeigen, dass die mediale Berichterstattung über Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen nach wie vor qualitativ stark variiert. Redaktionen sollten etwa standardisierte Info-Kästen mit weiterführenden, unmittelbar zugänglichen Hilfsangeboten einführen, die sich mit geringem technischen Aufwand in aktuelle und ältere Artikel integrieren ließen.
Nach Möglichkeit sollten Journalist*innen Darstellungsformen wählen, in denen Betroffene selbst zu Wort kommen. Artikel sollten grundsätzlich auch einordnende Elemente und Hintergrundwissen – etwa statistische Daten, Beschreibung von Symptomen und Behandlungsmöglichkeiten, Aussagen von Expert*innen – enthalten. Außerdem sollten Redaktionen gerade im Gesundheitsbereich noch stärker auf eine saubere Trennung zwischen journalistischen Inhalten (Content Management) und werblichen Inhalten (Content Marketing) achten.
Weiterführende Links
- „Fair Media – Hilfestellung für Journalistinnen und Journalisten, die über Menschen mit psychischen Erkrankungen berichten“ (Aktionsbündnis Seelische Gesundheit)
- „Suizide, Suizidversuche und Suizidalität – Empfehlungen für die Berichterstattung in den Medien“ (PDF)
- „Zwischen Stigma und Sensation: Musikstars mit psychischer Beeinträchtigung“ (Lisa Stegner)
- „Schizophrenie, Depression, Suizid – Tipps für Medien“ (Lilian Masuhr)
- „Nur wer einen Verstand besitzt, kann ihn auch verlieren“ (Heike Oldenburg)
Info-Kasten:
Die Telefonseelsorge ist unter der Rufnummer (0800) 111 0 111 sowie (0800) 111 0 222 oder 116 123 rund um die Uhr zu erreichen. Beratung via Chat, Mail und vor Ort: http://www.telefonseelsorge.
Der Ärztliche Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen (ambulante Behandlung in dringenden medizinischen Fällen) ist telefonisch rund um die Uhr unter 116 117 erreichbar.
Rettungsdienst Meldung von lebensbedrohlichen Notfällen: 112 (rund um die Uhr)
Eine Online-Beratung für Kinder und Jugendliche bietet: https://www.nummergegenkummer.
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat ein Info-Telefon Depression eingerichtet. Erreichbar unter (0800) 3344533 (Mo., Di. und Do. 13-17 Uhr sowie Mi. und Fr., 8.30–12.30 Uhr)
Titelbild: Screenshot: Jana Seelig – imgegenteil.de; Uwe Hauck – twitter.com
Bild 2: Jana Seelig – imgegenteil.de
Bild 3: Buch Minusgefühle – Facebook
Bild 4: Screenshot von Uwe Hauck auf der re:publica – youtube.de
Einerseits bin ich froh, dass sich der offene Umgang mit gesundheitlichen Herausforderungen immer mehr durchsetzt. Andererseits rate ich denen, die mich nach meinen Erfahrungen mit meinem Blog und dem offenen Umgang fragen auch zur Vorsicht, denn es gibt leider nicht immer nur positive Reaktionen. Betroffene sollten sensibel damit umgehen, wie belastbar sie gerade sind und ob sie sich dem Risiko von Mobbing aussetzen können.
Stichwort „schwarze Kleidung“: Ich wundere mich immer, dass niemand mal nachfragt, warum sich depressive Menschen oft schwarz kleiden. Möglicherweise liegt es daran, dass schwarze Kleidung in unserer Kultur automatisch mit Trauer verknüpft wird.
Für ich kann ich sagen, dass schwarze Kleidung bei mir nicht automatisch mit negativen Gefühlen oder Traurigkeit verbunden ist. Wenn wieder einmal eine depressive Episode läuft oder aber ich mit den Auswirkungen von Stress zu tun habe, dann ist kostet es weniger Energie, wenn ich schwarz mit schwarz kombiniere. Ich kann mir keine andere Farbe vorstellen, die sich so anspruchslos verhält und mit allen anderen schwarzen Kleidungsstücken zusammen spielt.
Lustig.Deshalb trage auch ich fast immer schwarz
Oh, oh…..
Die Farbe „Schwarz“ wird tatsächlich gerne bei Depressionen getragen, da sie ganz unbewusst die Dunkelheit der seelischen Verfassung widerspiegelt. Genau das ist kontraproduktiv, da man damit das seelische Tief nur noch fördert.
Hingegen wirken strahlende und kräftige Farben, wie Gelb und Orange fördernd einer depressiven Stimmung entgegen – nicht nur bei den Träger*innen der Farben.
Es hilft auch, diese Farben im Wohnbereich einzusetzen, um sie täglich anzusehen.
Ein Farbbad (auch in der Badewanne) mit Gelb und Orange (mehrmals angewendet) wirkt nachweislich Wunder!
Schwarze Oberteile also gaaanz hinten in den Schrank verbannen. Als Bekleidung für den Unterleib ist Schwarz wiederum schützend und fördern den Respekt z. B. im Arbeitsleben.
Danke für die Aufmerksamkeit
Eure Farbexpertin