Nachdem Moderatorin Monica Lierhaus in einem Interview überraschend berichtete, dass sie ihre lebensrettende Gehirnoperation nun doch bereue, entbrannte im Netz eine hitzige Debatte: Darf eine Prominente öffentlich sagen, dass sie mit ihrer jetzigen Situation derart unzufrieden ist, sie als Moderatorin mit Beeinträchtigung? Zwei Gruppen taten sich auf: Die eine unterstützt ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, die andere kritisiert, dass sie mit ihrer Aussage über ihr Leben mit Beeinträchtigung generell ein Leben mit Behinderung stigmatisiere. Was mancher jedoch übersieht, sind die vielen Rollen, die Monica Lierhaus gleichzeitig zugeschrieben werden: Die Rolle der Privatperson, der Medienperson, der neu beeinträchtigten Medienperson, der neu beeinträchtigten Vorbild-Medienperson.
Die Rolle der Privatperson
Zu allererst ist und bleibt Frau Lierhaus die Rolle der Privatperson. Die Rolle einer Frau, die lange voll berufstätig war und nach einer langen Partnerschaft allein lebt. Wie sie damit und auch mit ihrer neuen Beeinträchtigung durch die Operation umgeht, erlaubt kein Urteil von außen. Ihre Äußerungen legen nur nahe, dass sie trotz gesundheitlicher Fortschritte ihren Zustand noch immer als eine starke Einschränkung betrachtet, die sie belastet. Für manche Menschen, die schon länger mit ihrer Beeinträchtigung leben, ist es schwer nachzuvollziehen, warum gerade Frau Lierhaus immer noch mit ihrem Schicksal hadert, statt sich ihrer Verantwortung für sich und andere zu stellen, wie etwa Vertreter von Behindertenverbänden es im Web.de-Interview formulieren. Die meisten Kommentierenden im Netz jedoch nehmen die Privatperson Lierhaus in Schutz und unterstützen zudem ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, wie es Diskussionen auf den Facebookseiten von Leidmedien und Raúl Krauthausen sowie bei Twitter #lierhaus zeigen. In einem Moment solcher medialen Aufmerksamkeit wegen eines sensiblen Themas ist es ratsam, der Privatperson mehr Raum zu geben, sich selbst in Ruhe zu verorten. Sie trägt jedoch die Verantwortung, was sie von sich erzählt, und was nicht, weil sie weiß, was die Medien hören wollen.
Die Rolle der Medienperson
Erst war sie Moderatorin in der “Sportschau” und bei “ran”, nach ihrer Operation nun bei “Sky”, u.a. für die Fußball-WM in Brasilien. Dort sieht sie sich üblichen Konkurrenzsituationen ausgesetzt – zum einen jüngeren KollegInnen, die unentwegt aufrücken; zum anderen männlichen Kollegen, die im Sportjournalismus dominieren. Als sie ihrem Lebensgefährten vor laufender Kamera bei der Verleihung der “Goldenen Kamera” 2011 einen Heiratsantrag machte und später verkündete, es im Nachhinein doch nicht hätte machen sollen, vermischten sich plötzlich die Rollenerwartungen der Privatperson und der Medienperson Lierhaus. Dass sie jedoch offen in den Medien über ihre Fehler und Gefühle spricht, bietet anderen Medienschaffenden auch die Chance, ihr authentisches Ich öffentlich zu präsentieren, wie es jetzt Samuel Koch formulierte: “Ich finde es gut, dass auch Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, nicht immer nur ‚Sonnenschein‘ und ‚Alles ist gut‘-Parolen verteilen.” Jedoch bliebe er weiterhin “neugierig, welche Abenteuer das Leben” für ihn bereit halte. Von einer Medienperson wie Koch und Lierhaus wird erwartet, zu wissen, welchen Einfluss ihr Gesagtes auf andere haben kann. Aber sie erwarten natürlich auch etwas von der Öffentlichkeit: zu sehen, welche Erfolge sie erzielen und wann die Grenze erreicht ist.
Die Rolle der neu beeinträchtigten Medienperson
Nach ihrer Operation 2009 lag Frau Lierhaus monatelang im Koma, konnte dann aber doch allmählich ins Leben und die Medienbranche, sogar vor die Kamera, zurückkehren. Sie trainierte hart, um ihren Gesundheitszustand wieder so zu stabilisieren, dass sie Interviews führen konnte. Dass sie sich heute dennoch “genervt” über ihre “Gangart” fühlt, wie sie im Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erzählt, zeigt, wie viel sie vor allem von sich selbst erwartet, was nicht zuletzt auch Einfluss auf ihre Arbeit als Medienperson haben kann. Sie wolle vor allem “als Journalistin wahrgenommen werden” statt “als die, die einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen musste…” (Interview Die Welt). Die Verantwortung, dieses Bild von sich zu erhalten, liegt bei ihr selbst, aber auch bei den Medien, wenn sie in ihrer Berichterstattung den Fokus auf die Arbeit von Lierhaus legen, statt ein Merkmal ihrer Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen.
Die Rolle der neu beeinträchtigten Vorbild-Medienperson
Die Vorwürfe gegen Frau Lierhaus, ihr neues Leben mit Beeinträchtigung öffentlich als sinnlos darzustellen, entspringen der berechtigten Sorge, dass generell ein Leben mit Behinderung als sinnlos wahrgenommen wird. Dies spielt dem jahrelangen Kämpfen von behinderten AktivistInnen für Gleichberechtigung entgegen, zumal einer prominenten Person meist mehr Reichweite und Einfluss zukommt als Behindertenverbänden. Dass ein Prominenter mit einer Erkrankung oder Beeinträchtigung auch bedenken sollte, was seine eigenen Äußerungen für eine ganze Szene bedeuten können, liegt nahe.
Monica Lierhaus’ Äußerungen können aber auch als Enttäuschung aufgefasst werden, dass sie als neu beeinträchtigte Medienperson, die es schon so weit geschafft hat, plötzlich der Mut verlässt. Sie zeigt nicht nur, dass auch JournalistInnen mit Beeinträchtigung erfolgreich sein können, sondern auch, dass sie auch weiterhin andere Themen moderieren kann als zum Thema Gesundheit und Behinderung, wie sie im Interview mit Die Welt betonte: “Ich möchte nicht über Leben und Tod reden, sondern über Taktik, den nächsten Gegner – über Fußball.” In Deutschland gibt es zwar ModeratorInnen mit Beeinträchtigung, doch sie moderieren fast alle ein Format, in dem es auch um Behinderung geht – Volker Westermann „Dinner for everyone“, Martin Fromme und Jennifer Sonntag „mdr selbstbestimmt“, Sandra Klatt-Olbrich „Menschen – das Magazin“. Im Ausland sind sie da schon weiter – in Spanien moderiert ein Moderator mit Downsyndrom eine TV-Sendung (allerdings auch zu Inklusion), während bei der BBC in Großbritannien ein blinder Nachrichtensprecher und eine Frau mit fehlendem Unterarm eine Kindersendung moderieren. Ist es doch so, dass man in Deutschland noch nicht so weit ist, wie auch Blogger Stefan Niggemeier schon 2011 überlegte?
Übrigens: Samuel Koch, der Monica Lierhaus‘ Aussagen nun in Schutz nahm, verkörpert ähnliche Rollen wie Lierhaus, auch waren beide sehr sportlich vor ihrer Beeinträchtigung. Es gibt jedoch zwei wesentliche Unterschiede: Zum einen war Koch noch nicht in den Medien bekannt, bevor er seinen Unfall bei “Wetten, dass..?” hatte. Ihm selbst fehlt also vielleicht der Vergleich der Medienperson ohne und mit Beeinträchtigung, der womöglich Monica Lierhaus nun so mit sich kämpfen lässt. Allerdings hat er es innerhalb kurzer Zeit geschafft, sich mit seiner neuen Situation zu arrangieren und im Bereich der Schauspielerei ein Vorbild für andere Menschen mit Beeinträchtigung zu werden – als Schauspieler am Staatstheater Darmstadt und im Kinofilm “Honig im Kopf” von Til Schweiger. Was fehlt Frau Lierhaus noch, um ein Vorbild für ModeratorInnen mit Beeinträchtigung zu werden? Wahrscheinlich vor allem ihre eigene Bereitschaft, ihre Vorbildrolle mit all ihren Stärken und Schwächen anzunehmen.
Und nicht zuletzt: Die Medien im Diskurs zu #Lierhaus
Was jemand über sich sagt, in den Medien zu zitieren, ähnlich wie Udo Reiter damals, er sei ““an den Rollstuhl gefesselt”, ist legitim. Jedoch bleibt es in der Verantwortung von JournalistInnen – und auch BloggerInnen – das in einem persönlichen Interview Gesagte in weiteren Artikeln richtig einzuordnen. Hätte die Tatsache, dass Monica Lierhaus zwar mit ihrer Beeinträchtigung zu kämpfen hat, aber zu kämpfen bereit ist (“Ich habe so viele Rückschläge meistern müssen – das bekomme ich jetzt auch noch hin.”) im Fokus der Medienberichterstattung gestanden, so hätten die Behindertenverbände und AktivistInnen wohl nicht so empört reagiert. Natürlich geht es um den Nachrichtenwert einer Meldung, und wenn eine Person schon so lange kämpft, und plötzlich zweifelt, kann das eine Meldung wert sein. Ist es aber nicht viel interessanter zu erfahren, woher diese Zweifel eigentlich kommen? Was sind denn die Dinge, die ihr “erspart geblieben” wären, hätte sie die Operation nicht durchgeführt? Wenn es nicht medizinische intime Details sind, könnte daraus eine Erkenntnis gewonnen werden.
Denn auch wenn Lierhaus nun betont, sie habe ausschließlich für sich und nicht andere beeinträchtigte Menschen gesprochen, kann ihre Geschichte doch auch Auskunft darüber geben, wie ein Leben mit Beeinträchtigung von außen noch weiter beeinträchtigt wird. Bisher ließ sie es nur durchschimmern, etwa auf der Straße beobachtet, wörtlich “angestarrt wie ein Monster” zu werden, oder deutet an, dass sie ihre “Defizite” abtrainieren müsse. Es geht dabei vor allem um den Umgang der Umwelt mit den vier Rollen von Frau Lierhaus. “Was hätte besser laufen können, was besser laufen müssen? Aber statt eine Diskussion über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Behinderung aufzumachen, haben wir jetzt eine Lierhaus-Debatte”, so Autor Frédéric Valin. Vielleicht sind aber auch die Dinge, die ihr “erspart geblieben“ wären, ganz anderer Natur, so dass der große Diskurs über Teilhabe und Rechte von behinderten Menschen in unserer Gesellschaft hier eigentlich fehl am Platz ist.
Auch heute Abend bei „ZDF donnerstalk“ schlüpft Frau Lierhaus in mehrere unterschiedliche Rollen – erst als Reporterin zum Thema Assistenzhunde, dann als Interviewgast, um über ihr Leben mit eigenem Therapiehund zu sprechen. Es könnte eine Gelegenheit sein, mehr über ihr aktuelles Selbstbild, das sie zu den Äußerungen veranlasst hat, zu erfahren. Morgen lesen wir dann, welche Rolle ihr durch die Medien und deren LeserInnen nach ihrem erneuten Auftritt zugestanden wird. Hoffentlich ist es auch eine, die sie mit sich vereinbaren wird.
Titelbild: Screenshot https://twitter.com/Sky_Lierhaus
Wow, richtig toller, gut recherchierter Artikel. Super!
Da haben einige Journalisten sprachlich unsauber gearbeitet: Wer das Interview liest wird vergeblich die Aussage suchen, dass Frau Lierhaus die OP „bereue“. Sie sagte wörtlich: „Ich glaube, ich würde es nicht mehr machen“ – mehr nicht. Die bessere Interpretation wäre gewesen: „Lierhaus hadert mit der Operation.“
Dass die ehemalige Starreporterin mit der Gehirn-Operation und ihren Folgen schwer tut, ist absolut legitim. Dass sie diesbezüglich ehrlich ist und dennoch mit ihrem Kampf an die Öffentlichkeit geht, hat meinen Respekt. Und was der obige Artikel treffend beschreibt: Sie gibt, ganz nebenbei, vielen Journalisten die Gelegenheit mehr zu lernen über Behinderung, sprachliche Achtsamkeit und – vor allem – das Leben!
super recherchiert. danke dafür
ich würde übrigens den anfangstrigger innnerhalb der sozialen netzwerke im artikel von christiane link auf dem stufenlos-blog verorten. der vollständigkeit halber…
Danke für den umfassend informierenden Artikel. Es ist wichtig auch das Thema Behinderung in viel mehr Schattierungen aufzuzeigen. Es gibt in keinem Einzelschicksal eine reine Schwarz- oder Weiß-Situation. Warum soll Monica Lierhaus nicht auch ihre dunklen Stunden ansprechen dürfen, warum soll sie nicht sagen, dass sie es oft sehr schwer hat. Ich bewundere ihre Ehrlichkeit und den Mut, öffentlich zu ihren Gefühlen zu stehen. Angesichts der beruflichen und privaten Einschnitte in ihr Leben wäre es doch naiv zu denken, dass Monicas Kampf, mit Training und Ausdauer ihre frühere Stärke wiederzuerlangen, nicht auch Frustrationen mit sich bringt.
Die Berichterstattung über ihre Äusserung hätte sensibler sein können…..
Wow, ein differenzierter Artikel, der die Berechtigung der verschiedenen Positionen zeigt. Es ist eben nicht ein Entweder-Oder. Und vielleicht ist es für Frau Lierhaus (wie für andere nach einer Hirnschädigung) auch die Erfahrung, sich selbst, ihr eigenes Leben aus vielen Puzzlesteinen – hier im Artikel: Rollen – wieder mühsam zusammen zu setzen. Dabei geht’s um viel mehr als um „Behinderung“. – Jedenfalls find ich gut, dass Frau Lierhaus sich authentisch – nicht als Profi, nicht in einer Rolle gefangen – geäußert hat. Auch wenn manche das als mangelnde Professionalität bemängeln – endlich eine, die nicht perfekt ist, sondern sie selbst. Und damit hoffentlich einen Diskurs angefangen hat, der uns endlich den Druck nimmt, das Leiden am – oder im – Leben (ob mit oder ohne Depression) auch mitteilen zu dürfen – ohne die moralische Keule übergezogen zu bekommen.
Ich würde ihre Meinung einfach so stehen lassen. Ihr auch nichts vorwerfen. Wenn man die Interviews mit ihr liest und hört, scheint es wirklich so, als sei sie durch diesen Bruch mehr als nur ein wenig gefrustet. Vielleicht will sie einfach viel zu viel in zu kurzer Zeit. Ich kann mir leider nicht vorstellen, wie die Medienbranche drauf ist, aber sicher ist der Druck von dieser Seite auch nicht gerade gering. Ich möchte nur, dass sich Menschen mit Behinderung, die eine Person des öffentlichen Lebens sind, ihre Aussagen reflektieren, und darüber nachdenken, wie sie auf eben jene Öffentlichkeit wirken (die Aussagen).