Unsere Autorin Annton Beate Schmidt nahm an einer großen Werbekampagne teil. Sie berichtet, wie das Projekt nicht nur alte Klischees aufbrechen könnte, sondern schon jetzt auch die Perspektive auf sich selbst verändert hat.
In unzähligen Ländern auf der Welt waren Fotografinnen von DOVE engagiert worden, die unterschiedlichsten Frauen zu suchen, sie vorzustellen und, nachdem Einige von ihnen ausgewählt worden waren, diese anschließend zu porträtieren. Die dabei entstandenen Bilder waren in erster Linie für die Bildagentur Getty Images gedacht, wo sie inzwischen hinterlegt sind und somit der Werbeindustrie oder Journalist*innen zukünftig zur Verfügung stehen. Suchte man bisher etwa Frauen mit Behinderungen, gab es nur wenige und sehr stereotype Angebote. Es gab ein paar Rollstuhlfahrerinnen, die ein oder andere Leistungssportlerin mit Prothese vielleicht. Keine Ärztinnen, Künstlerinnen oder Mütter. Nicht selten waren es auch Models ohne Behinderungen, die einfach in einen Rollstuhl gesetzt worden waren. Nicht viel was die Vielfalt, Authentizität oder Schönheit von Frauen mit Behinderungen zeigt.
Das eigene Bild bestimmen – die eigene Geschichte erzählen
Als die Anfrage kam, ob ich Lust habe ein Teil dieser Kampagne zu werden, habe ich tatsächlich nicht lange gezögert. Ich wusste mit DOVE und der Agentur Girlgaze stehen absolute Profis hinter dem Projekt. Girlgaze, vor einigen Jahren als Instagram-Account der britischen Fotografin Amanda de Cadenet entstanden und inzwischen als erfolgreich arbeitende Multimedia-Plattform agierend, hat es sich zur Aufgabe gemacht das Bild von Frauen realistischer zu gestalten und darüber hinaus, Fotografinnen in der Kreativindustrie zu fördern, da diese dort noch immer wesentlich seltener engagiert werden als Männer. Schon der erste Blick auf die Auswahl der Frauen für das Projekt #showus zeigte deutlich, Diversität wird hier sehr ernst genommen. Und auch Respekt, da von vorherein klar war, der Job würde angemessen bezahlt werden. Für mich ist das ein wichtiger Punkt, weil angemessene Bezahlung eine der Grundbedingungen für Gleichberechtigung und Inklusion darstellen. Die Kommunikation war transparent und fand auf Augenhöhe statt.
Während des gesamten Prozesses, während der Shootings und in Skypekonferenzen mit den Kreativdirektor*innen der Kampagne, konnte ich Fragen stellen, wie zum Beispiel nach der Motivation der Kreativdirektor*innen, konnte Bilder auswählen und die Darstellung meiner Person ganz klar steuern.
Zu oft werden Menschen mit Behinderungen in den Medien innerhalb sich wiederholender Narrative dargestellt. Entweder bekommen wir vom Schicksal gebeutelte Menschen oder Superheld*innen präsentiert. Das bin ich alles nicht. Ich sehe mich als Frau mit Stärken und Schwächen, als Künstlerin, als politisch aktiver Mensch. Und zwischen all das, gehört auch meine Behinderung. Ich wollte, dass das wirklich authentisch gezeigt wird und ich mich in meiner Persönlichkeit reflektiert finde.
Der Umfang den das Projekt #showus inzwischen hat, war zu Beginn der Gespräche und auch beim eigentlichen Fotoshooting überhaupt nicht abzusehen. Das ist im Grunde genommen erst über die Monate so gewachsen und manchmal reibe ich mir schon noch ungläubig die Augen.
#showus – mein Gesicht, weltweit
Erst einmal ist das Alles aber natürlich aufregend. In der vergangenen Woche bekam ich zum Beispiel ein Foto zugeschickt: Mein Gesicht auf einem großen Plakat, an einer Bushaltestelle in der Nähe des World Trade Centers in New York. Das hat ordentlich Gänsehaut verursacht. Und es treibt mich gleichzeitig an. Nach New York zu fliegen ist schon lange ein Traum von mir und ich denke, ich werde das nun bald umsetzen. Schließlich kann ich mein Bild dort nicht so alleine herumhängen lassen.
Auf der anderen Seite ist #showus nicht nur ein Projekt, dass für mich genau an der richtigen Stelle ansetzt, sondern es war auch ein interessanter Prozess zu lernen mit meinen eigenen Fotos und dem filmischen Porträt dass im März diesen Jahres gedreht wurde, umzugehen. Umso größer die Kampagne wurde, habe ich mich jedes Mal gefragt, ob ich das wirklich will und ob ich noch immer damit wohl fühle, weltweit nicht nur als Foto, sondern auch in bewegten Bildern zu sehen zu sein.
Als ich die Fotos schließlich ansehen konnte, saß ich erst einmal vor meinem Notebook und habe eine halbe Stunde geheult. Ich wurde schon des Öfteren fotografiert, aber nicht einen ganzen Tag begleitet. Kurz und konzentriert in eine Kamera zu sehen ist anders, als beim Kaffeekochen, beim Malen oder während eines Spaziergangs mit dem Hund porträtiert zu werden. Soviel Konfrontation mit meiner eigenen Realität, das hat mich erst einmal umgehauen.
Ich hatte dann eine Nacht, um die Bilder aus dem Folder zu löschen, die ich unter keinen Umständen veröffentlicht sehen wollte. Ich musste mich also mit jedem Einzelnen auseinandersetzen. Das war zu Beginn hart, aber nach einer Weile fing ich an, mich selbst in den Bilder zu erkennen und sie nicht mehr unvorteilhaft zu finden, sondern vielmehr authentisch. Und als ich die Email mit den genehmigten Fotos schließlich abgeschickt habe, mochte ich sie tatsächlich. Ich glaube viele Menschen finden es schwierig sich selbst auf Fotos zu betrachten, sich in einem Video zu sehen oder die eigene Stimme zu hören, aber ich glaube besonders als Menschen, deren Gesichter und Körper, deren Leben, nicht den gängigen Klischees entsprechen, da mag der Schritt ein klein wenig größer sein. Es geht tatsächlich nicht nur darum von Anderen gesehen zu werden, sondern auch darum, dass wir uns selbst sehen. Und, dass wir uns ansehen.
Ein Impuls zur neuen (Selbst)wahrnehmung
Inzwischen bin ich wirklich stolz auf die Bilder und freue mich, wenn ich oder jemand anderes eines der Plakate irgendwo entdeckt. Was also als Projekt für die Werbeindustrie gedacht war, hat auch in mir etwas verändert. Im Grunde bin ich ziemlich gefestigt und habe eine positive Einstellung zu mir selbst. Ich finde gut, wie ich bin und wenn etwas schief gelaufen ist, fällt es mir auch nicht wahnsinnig schwer Fehler zuzugeben. Dass sich meine eigene Wahrnehmung jedoch noch einmal so sehr verändern würde, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.
Egal wie groß oder wie gut eine Kampagne ist, sie kann nur ein Anfang sein. Ein Schubsen in eine neue Richtung, ein Impuls Altes zu überdenken. Zurzeit wird #showus in verschiedenen Städten der Welt präsentiert. Gelaunched wurde bisher in London, New York und Moskau und es sollen noch mehr Städte folgen.
Im Grunde geht es hier um Sichtbarmachung. Menschen mit Behinderungen finden in der Öffentlichkeit immer noch viel zu selten oder in eingeschränkten Zusammenhängen statt. Und was Menschen nicht sehen, dass gibt es für viele nicht. Ständig werden die Narrative des traurigen und schweren Lebens mit einer Behinderung widergekäut. Dazwischen liegen aber Millionen anderer Biografien. In manchen Momenten nervt mich dieses Ungleichgewicht gewaltig. Auf der anderen Seite, als Frau mit einer Behinderung, sehe ich darin auch eine Riesenchance. Wir alle haben es ein Stück weit in den eigenen Händen diese Stereotypen aufzubrechen, indem wir der Gesellschaft andere Bilder geben. Indem wir rausgehen, ins Kino, ins Theater oder zum nächsten Imbiss. In dem wir unsere eigenen Geschichten erzählen oder wir uns politisch einbringen und für unsere Rechte einstehen. Umso mehr Menschen mit Behinderungen in die Öffentlichkeit gehen, umso vielfältiger und realistischer werden wir wahrgenommen. Und diese Macht liegt eben auch bei uns.
Links zur Kampagne:
https://www.dove.com/uk/stories/campaigns/showus.html
https://www.gettyimages.de/showus
Zur Fotodatenbank mit neuen Perspektiven: Gesellschaftsbilder.de
Titelbild: Jacobia Dahm | GettyImages