Bei Günther Jauch wurde am 18. Mai 2014 über die Frage diskutiert, ob auch Kinder mit Trisomie 21 (Downsyndrom) freie Schulwahl haben sollten. Hintergrund war die Diskussion um Henri, der als Schüler mit Trisomie 21 zusammen mit seinen Freunden auf ein Gymnasium in Baden-Württemberg gehen möchte. Wir haben die Reaktionen zur Sendung der größeren Zeitungen gesammelt.

Spiegel: „Inklusion beginnt im Kopf“

 

„Inklusion beginnt im Kopf“, sagt Henris Mutter. Dort haben sich bei den meisten Meinungsführern die Ideen von Teilhabe und Gerechtigkeit offenbar dergestalt festgesetzt, dass die Förderschule als Organisation von vorgestern gilt. Angeblich ist sie diskriminierend und ungerecht. Sie soll nach der Hauptschule die nächste Schulform sein, die verschwindet – erst aus der Talkshow, dann aus dem Schulalltag. Mit dem Kindeswohl hat das wenig zu tun.

Taz: „Inklusion unerwünscht. Keine Unterstützung für Henri“

Ein Aufschrei kommt von den Elternvereinen, die Henris Familie unterstützten. „Müssen Kinder mit Behinderungen wieder darum betteln, dazugehören zu dürfen?“, fragt die Elterninitiative Rhein-Neckar. Über ein Dutzend Elternvereine fordern SPD- und Grünen-Abgeordnete auf, einzugreifen und „zu verhindern, dass in Baden-Württemberg ein Exempel statuiert wird, nach dem Menschenrechte nur dann zu gewähren seien, wenn sich niemand gestört fühlt“. Was bleibt für Henri?

Bild: „Ein Lehrer sagte mir, ich könnte eh nichts!“

Klinge [Gesamtschullehrer Siegen], der anmerkt, dass er absoluter Freund und Fan der Inklusion sei, sagt aber auch: „Ich habe Sonderpädagogen bei mir, die eine ganz großartige Arbeit in der fünften bis siebten Klasse machen.“ Schwierig würde es werden, wenn Kinder mit Inklusionsbedarf in die achte oder neunte Klasse kämen und dort Chemie oder Physik hätten. „Wir bräuchten Sonderpädagogen für jedes einzelne Fach, und die gibt es leider nicht“, sagt Klinge. Fazit: Eine intensive, spannende und interessante Runde zu einem mehr als dringenden Thema.(…)

Welt: „Darum also kann Henri nicht auf ein Gymnasium“

Kraus [Vorsitzende des deutschen Lehrerverbandes] argumentierte bei Jauch auf eine Art und Weise, die vollkommen aus der Zeit gefallen schien. Wo mit technischen Hilfsmitteln die Behinderung ausgeglichen werden könne, sei Inklusion möglich, sagte er etwa an einer Stelle – eine Argumentation aus den 1970er-Jahren. Wenn der Lehrerverbands-Chef alleine gewesen wäre, wäre er mit seinen Äußerungen womöglich durchgekommen. Aber zum Glück hatte Jauch Gäste, die sich mit dem Thema Inklusion auskennen und sich damit positiv auseinandersetzen, auch bei Problemen.

Faz: „Nicht jedes Kind kann auf eine normale Schule gehen“

…der Auftritt von Henris Mutter [hatte] bisweilen etwas erschreckend Maßloses; ihr einfaches Wegwischen von Warnungen, Kinder mit Behinderungen auf einer Regelschule womöglich von einer Enttäuschung in die nächste zu schicken, ihr kompromissloses Beharren auf einer Regelschule in nächster Nähe ihrer Wohnung (nach dem Motto: in dieses Gymnasium gehen auch Henris Freunde), all dies ließ für Henri nicht unbedingt nur Gutes erwarten (sein Fall hätte im übrigen noch viel genauer beleuchtet werden müssen, um ihn wirklich beurteilen zu können).

Stern: „Henri und die überforderte Elite“

Die Talk-Runde bei Günther Jauch redet über Inklusion und erreicht dabei ein beachtliches Niveau. Dennoch fördert sie doch all die alten Vorurteile über Menschen mit Behinderungen zutage. (…) Da sind die Eltern, die Angst haben, ihr Kind könnte irgendwie „zu kurz“ kommen, könnte womöglich die eigenen Erwartungen nicht erfüllen – und die natürlich einen Schuldigen suchen. Und nun in der Inklusion finden, wie Mutter Kirsten Ehrhardt sagt. Eine „fast panische Angst“ sei das, sagt Ehrhardt. Ohnedies würden Menschen mit Behinderungen immer nur als defizitär betrachtet. Und selten als Bereicherung.

Neue Osnabrücker Zeitung: Günther Jauch: Carina Kühne mit Downsyndrom aufs Podium

Womöglich wirkt Kühne |Bloggerin mit Trisomie 21] also nur deshalb gewinnender, weil hier eine Behinderte selbst spricht. Damit macht sie erlebbar, was die Journalistin nur abstrakt mitteilen kann: „Menschen mit Behinderung sind eine große Bereicherung. Und nur jeder zweite in Deutschland macht übers Jahr diese Erfahrung.“ (…) Bei Jauch spricht Kühne sich zwar nicht gegen Sonderschulen überhaupt aus, sehr vehement aber gegen die Zwangseinweisung auf diese Schulform.

Berliner Morgenpost: „Wenn ein Kind nicht zur Schule darf, weil es behindert ist“

Er [Jan-Martin Klinge, Gesamtschullehrer] sagt ganz klar: Inklusion ist richtig, aber sie hat Grenzen. Ab der 7. Klasse sei das Zusammenlernen oft ein Problem. „Die Kinder entwickeln sich rasant auseinander.“ Und auch sozial. Stark behinderte Kinder seien oft sehr behütet, während die ohne Behinderung in der Pubertät ihre Grenzen austesteten. Dann brächen Freundschaften auseinander. (…) Sein Fazit: Die Mischung macht’s. Man muss halt schauen, welche Zusammensetzung eine Klasse, eine Schule verträgt. Dass Kinder dabei immer wieder von Schulen abgelehnt werden, gehört dazu. Das trifft behinderte und nicht behinderte Kinder. Man nennt es Realität.

Berliner Zeitung: Störungsfreie Debatte um Inklusion

Man stelle sich nur einen Augenblick lang vor, der Ehrlichkeit und Vollständigkeit halber: Günther Jauch hätte nicht nur die erfolgreiche Carina Kühne eingeladen, sondern auch jemanden, der – wie es Lehrer Klinge aus dem Schulalltag schilderte – schwer geistig behindert oder stark verhaltensauffällig ist, jemand , der über Tische und Bänke geht, herumschreit? Jemand, der tatsächlich „stört“? Natürlich völlig undenkbar in einer Talkshow. Anders als in vielen Schulen.

Focus: „Behindert aufs Gymnasium? Streit kocht bei Jauch hoch“

Eltern von Real- oder Hauptschüler dürften sich da schon mal prophylaktisch fragen, warum für behinderte Kinder ein solcher Aufwand womöglich auf dem Gymnasium getrieben werden soll – während nicht-behinderte Kinder sich damit abfinden sollen, vom Grundschul-Durchschnitt auf eine niedrigere Regelschule gezwungen zu werden. Im Grunde sind manche Schüler (ohne Behinderung) aber eben einfach überfordert auf dem Gymnasium, und ihre Eltern sind gut beraten, sie nicht dorthin zu schicken.

Süddeutsche Zeitung: „Es ist eine Frage der Menschlichkeit“

Wie sehr Ziel, Weg und Wirklichkeit tatsächlich auseinanderdriften, macht Carina Kühne klar: Obwohl sie gemeinsam mit ihrer Mutter erfolgreich dafür kämpfte, eine Regelschule zu besuchen, und als Klassenbeste in Englisch ihren Hauptschulabschluss gemacht hat, fand die junge Frau keinen Ausbildungsplatz. Zig Bewerbungen habe sie geschrieben, mehrere Praktika in Arztpraxen, Cafés und Kindergärten gemacht, aber keiner bot ihr die Chance auf einen regulären Job. Schließlich arbeitete sie in einem integrativen Supermarkt – sicherlich kein schlechter Job, aber eben nicht das, was sie unter Gleichbehandlung verstand. Und hier scheint das eigentliche Problem kurz auf: Wenn Inklusion sich nur auf Schule bezieht, ist dies nur der halbe Weg. Das Ziel aber liegt davon noch weit entfernt.

Rp-online: „Behinderte Kinder aufs Gymnasium?“

Für Henris Mutter ist die Sache klar: Für Henris Glück und Entwicklung ist das Beisammensein mit seinen Freunden aus der Grundschule elementar. „Die Kinder haben es verstanden“, sagt sie. Alle seien – im Gegensatz zu den Erwachsenen – absolut großartig. „Eltern und Lehrer schauten  hingegen ständig auf Leistung. Dass das Gymnasium für Henris intellektuell unlösbare Anforderungen stellt, spielt aus ihrer Sicht keine Rolle, weil für ihren Jungen ja ein anderer, individueller Lehrplan entworfen wird. In Italien etwa, wo 99,9 Prozent der behinderten Kinder eine Regelschule besuchen, ist das längst Normalität. Deutschland steckt vergleichsweise in den Kinderschuhen. Hier beträgt die Quote gerade mal ein Viertel.

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Screenshot: Spiegel.de