„Menschen erwarten eine Schwerhörigkeit eher bei älteren Personen“, sagt Ines Helke. Judyta sprach mit der Hamburgerin über ihre Kommunikationsweise, ihre Forderungen bezüglich der Inklusion und ihre Arbeit beim Gebärdenchor „HandsUp“.
Leidmedien.de: Wie kam es zur Gründung vom Gebärdenchor „HandsUp“?
Ines Helke: Alles fing mit einem Workshop für Gebärden und für Deutsche Gebärdensprache im treffpunkt.altona von der Einrichtung alsterdorf assistenz west gGmbH an, bei dem wir auch Gebärdenlieder angeboten haben. Irgendwann wurden wir gefragt, ob wir nicht auch woanders mit den Gebärdenliedern auftreten können. Die Workshop-Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie ich als Leiterin trauten es uns zu. Immer wieder kamen Anfragen, bis wir uns schließlich den offiziellen Namen “HandsUp” für den Gebärdenchor überlegten. Als Projektleiterin spreche ich gemeinsam mit den Gebärdenchorfreunden ab, welche Songs wir üben und erproben. Dieses Projekt verlangt einiges von mir ab, weil ich die Musik nicht verstehe, höchstens ein wenig höre. Deswegen arbeite ich mit Unterstützung von Kommunikationsassistent*innen und mit Gebärdensprachdolmetscher*innen.
Leidmedien.de: Was bist du ursprünglich von Beruf?
Ines Helke: Ich bin Diplom-Sozialpädagogin. Ich hatte damals das große Glück mein Studium mit der Eingliederungshilfe zu schaffen und erfolgreich abzuschließen, welches nicht immer einfach war, weil alle um mich herum hörend waren. Mein Studium hat sich trotzdem gelohnt, weil ich meinen Traum erfüllen konnte, in meinem Berufsleben mit Menschen zu arbeiten. Wenn Menschen ohne Behinderung die Ressourcen, die Kompetenzen und das Fachwissen von uns Menschen mit Behinderung erkennen, dann ist das Empowerment. Das wäre ein wichtiger Schritt für eine gelungene, gemeinsame und erfolgreiche Inklusion von der am Ende alle profitieren würden.
Leidmedien.de: Wo hast du deine Mitstreiter und Mitstreiterinnen gefunden?
Ines Helke: Es hat sich herumgesprochen und gebärdet, dass es im treffpunkt.altona ein tolles Angebot gibt, bei dem die Freude und der Spaß am Lernen von Gebärden und von der Deutschen Gebärdensprache einen positiven Effekt hat. Jeder bringt sich persönlich ein. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer mit oder ohne Behinderung darf sein Lerntempo selbst entscheiden. Gerade das macht neugierig und die Menschen mit und ohne Behinderung fühlen sich in der Gemeinschaft „HandsUp“ wohl und das gibt Sicherheit. Es wird nicht geschaut wo die Schwächen sind, sondern wo die Stärken jede*r Teilnehmer*in sind. Deswegen kommen die Menschen immer wieder gerne zum treffpunkt.altona zu dem Workshop, auch weil viel miteinander gelacht wird.
Leidmedien.de: Führt ihr eure Stücke auch auf?
Ines Helke: Ja, wir hatten zum Beispiel bereits Auftritte beim Kulturprogramm „Altonale“ in Hamburg , im Rathaus Hamburg und in Kiel auf der NDR-Bühne. Vor kurzem hatten wir einen ganz besonderen Gebärdenchor-Auftritt in der Laeiszhalle in Hamburg. Stefan Gwilids, der bekannte Sänger, fragte uns, ob wir während seines Konzerts mit dem Gebärdenchor „HandsUp“ auftreten möchten. Für uns alle war das eine besondere Ehre und Herausforderung hier mitzuwirken, weil das am Ende gelebte Inklusion war. Die Mitglieder mit Behinderung des Chores haben auf diese Weise aktive Teilhabe erfahren. Sie wissen dann, dass sie Teil der Gesellschaft sind und dazu gehören, weil sie zeigen dürfen, was ihre Stärken sind, und das auch Fehler erlaubt sind. Sie sind dabei und das macht glücklich.
Der Gebärdenchor „HandsUp“ zusammen mit Sänger Stefan Gwildis:
Leidmedien.de: Zur Sprache: Wie bezeichnen sich Menschen mit einer Hörbehinderung?
Ines Helke: Wir bezeichnen uns entweder als schwerhörig, hörbehindert oder hörgeschädigt. Andere wiederum sind gehörlos oder taub. Die Wahl des Begriffs hat auch mit der persönlichen Identität zu tun. Früher habe ich mich als schwerhörig bezeichnet, dann hat mein Gegenüber immer laut geschrien, weil sie/er dachte, dass ich sie/ihn dann verstünde. Das war oft sehr unangenehm und ich hatte immer noch nichts verstanden. Oft fragten die Hörenden dann, ob ich blöd oder dumm wäre, weil ich damals jung war. Sie erwarten eine Schwerhörigkeit eher bei älteren Menschen. Durch den Austausch mit gleichgesinnten Menschen in der Hörbehindertenszene habe ich den Begriff Schwerhörigkeit aus meiner Biographie gestrichen und entschieden: „Ich bin ein Mensch mit Hörbehinderung“. Durch mein neues Selbstbewusstsein habe ich gelernt, dem Hörenden zu sagen, was ich benötige, damit eine gute und gelungene Kommunikation möglich ist. Seitdem mache ich positive Erfahrungen und man/frau geht besser auf mich ein.
Leidmedien.de: Wie kommunizierst Du mit anderen?
Ines Helke: Ich bin von Geburt an hörbehindert und trage zwei bunte Hörgeräte, um zu hören. Das Verstehen kompensiere ich mit dem Lippenlesen. Daher hilft es mir mehr, wenn ich einen freien Blick auf den Mund meines Gegenübers habe, statt dass mir jemand laut ins Ohr spricht. Wenn ich spreche, benutze ich oft lautsprachbegleitende Gebärden. Das bedeutet, ich spreche und benutze gleichzeitig Gebärden, damit auch visuell deutlich zum Ausdruck kommt, was ich sage.
Leidmedien.de: Wie ist es auf Veranstaltungen für Dich?
Ines Helke: Auf Veranstaltungen benötige ich zusätzlich entweder Gebärdensprachdolmetscher*innen oder Schriftdolmetscher*innen, damit ich den Inhalten folgen kann. Es ist wichtig, dass beide Dienstleistungen zur Verfügung stehen, weil zum Beispiel nicht alle hörbehinderten Menschen der Deutschen Gebärdensprache mächtig sind. Andere wiederum kommen mit der Deutschen Schriftsprache besser zurecht. Jeder muss für sich selbst entscheiden, was er/ sie für sich benötigt. Für viele ist die Deutsche Gebärdensprache ihre Muttersprache. Des Weiteren sind Induktionshöranlagen fürTräger/-innen von Hörgeräten und von Cochlea Implantaten auf Veranstaltungen wichtig, damit diese Zielgruppe sich akustisch anschließen kann. Auch ich schließe mich akustisch mit meinen zwei Hörgeräten an. Leider gibt es häufig Situationen, in denen die Veranstalter*innen aufgeklärt werden müssen, was wir für die barrierefreie Kommunikation benötigen, obwohl es in Aktionsplänen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention schriftlich und ausführlich festgehalten wurde. Das ist für mich Diskriminierung und oft sehr mühsam.
Leidmedien: Hast Du einen Tipp für Veranstalter*innen?
Ines Helke: Es fällt leichter sich für Inklusion einzusetzen, wenn Barrieren auch im Kopf gefallen sind. Und man/frau es als einen Gewinn betrachtet, die eigene Veranstaltung für mehr Menschen zugänglicher zu machen. So kann bereits auf der Webseite stehen, dass eine Theatervorstellung barrierefrei ist. Die Wirtschaft sollte erkennen, dass nicht nur wir Teilhabe erleben, sondern sie von uns als zahlungskräftige Kunden, die ihr Geld im Kino, Café oder Geschäft ausgeben wollen, profitieren. Ein noch vernachlässigtes Thema sind z.B. auch deutsche Untertitel in deutschen Filmen – warum nicht zusätzlich solche Filme mal anbieten, für hörbehinderte Menschen, aber auch z.B. für geflüchtete Menschen? Auch hiervon profitieren alle Menschen, unter anderem weil es zusätzlich bei Schulkindern das Lesen fördert, wenn Untertitel vorhanden sind.
Titelbild: privat
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