Vor einer Woche starb die Aktivistin und Comedian Stella Young, die den Begriff „Inspiration Porn“ maßgeblich prägte. Judyta Smykowski mit einer Einordnung des Begriffs.

Sich die Hände reiben daran, dass man helfen kann, dass man eine Inspiration für sein eigenes verfahrenes Leben in jemandem gefunden hat und sich im Vergleich mit einer behinderten Person hochwertiger fühlen. Diese Einstellung von nicht behinderten Menschen nannte die gerade verstorbene australische Aktivistin, Journalistin und Comedian Stella Young „Inspiration Porn“.

Morgens an der Bushaltestelle: „Sie inspirieren mich!“

Der Begriff fällt, seit Inklusion in den Medien Konjunktur hat, immer häufiger, aber was genau steckt eigentlich dahinter? Ein Szenario: Man steht morgens früh um sieben an der Bushaltestelle und obwohl man noch nicht aufnahmefähig für das ist, was um einen geschieht, ist, wird man von Menschen zugeschwafelt, die es so toll und inspirierend finden, dass wir dort um 7 Uhr morgens stehen. Wir werden dafür gelobt, dass wir es aus unserem Bett geschafft haben und das wir an so einem öffentlichen Ort wie einer Bushaltestelle stehen. Doch dann nimmt das Loblied plötzlich eine Wendung. Denn der Mensch sagt uns „Ach, wenn ich Sie so sehe, dann geht es mir gleich besser, dann darf ich mich in meiner Situation gar nicht beschweren“. Vielen Dank. Für nichts, möchte man antworten. Auch die Bloggerin Laura Gehlhaar beklagt sich über zu viel des Lobes: “Fremde klopfen mir anerkennend auf die Schulter allein deswegen, weil ich existiere.” Die Behinderung sei aber für sie nur eine Eigenschaft, so wie rote Haare.

Stella Young hatte ebenso eine wichtige Nachricht an alle Eltern, die mit ihren Kindern an der Bushaltestelle stehen. Es sei ihrer Meinung nach in Ordnung, wenn Kinder Menschen mit einer sichtbaren Behinderung anstarren. Wenn die Eltern das Kind in so einer Situation zurechtwiesen oder es daran hindern, uns Fragen zu stellen, dann würden sie nur unterstützen, dass Anders aussehen etwas ist, wofür man sich schämen müsse. Raul Krauthausen schrieb dazu „10 Tipps, die alle Eltern ihren Kindern über Behinderungen beibringen sollten“.

Lieber die schamlose als die inspirierende Rollstuhlfahrerin

Eine ähnliche Situation von „Inspiration Porn“ ergibt sich in der Sendung “My Gimpy Life” von und mit Teal Sherer. Sie spielt sich selbst als Schauspielerin, die zu einem Vorsprechen für eine Rolle geht. In der vorgetragenen Textpassage geht es um die Vagina, um ihr Aussehen und ihre Funktion. Die Regisseurin dankt Teal und sagt, wie inspirierend sie das Vorsprechen fand. Nur weil eine Frau im Rollstuhl zum Vorsprechen kommt und dann auch noch über eine Vagina spricht. Dann packt sie noch eins drauf: Sie tätschelt der Rollstuhlfahrerin über den Kopf. Als Teal der Kragen platzt, wird sie als „Schlampe auf Rädern“ bezeichnet. Da fällt Teal ein Stein vom Herzen, da sie endlich ganz schamlos behandelt wird -wie alle anderen auch.

Sind behinderte Menschen selbst schuld?

Auch Stella Young quälte sich mit solchen „Inspirationsformulierungen“. Sie erzählte davon, dass die Menschen von ihr erwarteten, dass sie von Grund auf inspirierend und motivierend auf Menschen wirkt. Denn sie habe es ja auf Grund ihrer Behinderung (Glasknochen) so schwer. Aber was ist eigentlich mit den behinderten Menschen, die nicht inspirieren wollen? Sind sie dann gar nicht mehr interessant, weil man als nicht inspirierter, nicht behinderter Mensch nichts mehr von ihnen lernen kann? Ein Sprichwort lautet: „Die einzige Behinderung im Leben sei eine schlechte Einstellung zum Leben.“ Dazu sagte Stella Young einmal: “Die Stufen vor dem Theater werden nicht verschwinden, egal wie lange ich sie anstarre und mir wünsche, dass sie nicht da wären”.

Bei ihrem berühmten Ted-Talk in Sydney gab Stella aber auch zu bedenken, dass manche Leute mit Behinderung ihr Umfeld so erzogen hätten, dass sie bitte schön als besondere Menschen wahrgenommen werden wollen. Die Sozialen Medien würden auch zu dem Bild von behinderten Menschen als Inspirationsquelle beitragen: Stella zeigt ein Bild, darauf ist ein Mädchen mit Trisomie 21 beim Sport zu sehen. Darunter steht: “Bevor du aufgibst musst du es erst mal versuchen”. Diese Bilder nennt Stella Young „Inspiration porn“. Porn, da sie eine Gruppe von Menschen, nämlich behinderte Menschen als Objekt der Inspiration darstellen würden.

Ähnlich ist es übrigens mit Youtubevideos, in denen Eltern ihre Babys mit Trisomie 21 als niedlichste Geschöpfe der Welt abfeiern. Aber genau hier liegt auch eine Ambivalenz zu “Inspiration Porn”. Denn es ist gut, dass Eltern ihre süßen Kinder zeigen. Gerade in einem Land wie Deutschland, in dem sehr viele Babys mit Trisomie 21 abgetrieben werden, können diese Videos die Angst nehmen.

Vom „behindert sein“ zum „behindert werden“

Dass die Gesellschaft behinderte Menschen immer noch als etwas besonderes, etwas exotisches sieht, liegt vielleicht auch am sogenannten medizinischen Modell der Behinderung. Es besagt, dass die Behinderung untrennbar von der Person ist, die sie hat. Das Problem liegt also beim Menschen mit Behinderung selbst und er hat sich darum zu kümmern, alle Möglichkeiten der Verbesserung oder gar Heilung auszuschöpfen. Dagegen geht das soziale Modell, für dass sich auch Stella Young aussprach, davon aus, dass ein Mensch durch seine Umgebung und die Gesellschaft behindert wird. Der “Fehler” liegt dabei, nicht bei einem beeinträchtigten Körper, sondern z.B. bei den Stufen vor dem Theater oder der Universität.

Die Sichtweise der Gesellschaft auf behinderte Menschen hat damit zu tun, dass Menschen mit Behinderung immer noch unzureichend in der Öffentlichkeit stehen, so Young. Denn gäbe es mehr von ihnen, dann wären sie ein Teil der Normalität der nicht behinderten Menschen „Ich will in einer Welt leben, in der eine Behinderung keine Ausnahme, sondern die Regel ist“ so Stella. Sie wollte in einer Welt leben, in der man ruhig höhere Erwartungen an Menschen mit Behinderung hat, als dass man sie schon beglückwünscht, wenn sie es aus ihrem Bett vor den Fernseher schaffen.

Nun ist Stella Young überraschend im Alter von 32 Jahren verstorben. Auf die Aussage “Sie inspirieren mich” hat sie bestimmt einmal geantwortet: “Es wäre so schön, wenn ich sie inspiriere, weil ich mich viele Jahre leidenschaftlich für eine neue Wahrnehmung von behinderten Menschen und ihre Rechte engagiert habe.” Danke, Stella.

 

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Titelbild: Screenshot ABC.net