Wie vereinbaren gehörlose und schwerhörige Menschen einen Termin beim Arzt? Welche Schwierigkeiten und Herausforderungen müssen bewältigt werden, um eine barrierefreie Kommunikation zu gewährleisten? Unsere Autorin Clara Belz erzählt von Kommunikationsbarrieren beim Arzt und fordert mehr Inklusion in deutschen Arztpraxen. Der Artikel ist der erste Teil unserer Reihe „Beieinander Gehör finden“.

Wenn man selber nicht hören kann und man spontan zum Arzt muss, ist es schwierig oder gar unmöglich, eine*n Gebärdensprachdolmetscher*in zu organisieren. Ärzt*innen rechnen nicht damit, dass eine gehörlose Person auch zum Arzt gehen müsste. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht so gering, denn in Deutschland leben 80.000 gehörlose Menschen. Trotzdem sind Ärzt*innen nicht geschult im Umgang mit gehörlosen und schwerhörigen Menschen, wahrscheinlich weil sie so wenige Berührungspunkte haben.

Meistens geht ein Arzt bzw. eine Ärztin davon aus, dass noch jemand da ist, der/die übersetzen könnte. Aber was ist, wenn kein/e Dolmetscher*in da ist und ich alleine komme? Ich werde dann oft gefragt, ob ich Lippenlesen könnte. Wenn ich sage, dass ich es nur ein bisschen kann, begegnet mir viel Unsicherheit. In so einer Situation ergreife ich die Initiative und habe meistens meinen Block und Stifte dabei und schreibe dann auf, was ich habe. Sie sind dann erstaunt, weil sie es nicht erwarten, dass eine gehörlose Frau sehr gut lesen kann, sie gehen davon aus, wer eine Behinderung hat, ist nicht so gut in Deutsch. Der Arzt bzw. die Ärztin betreut tausende Patient*innnen, und ist überfordert damit wenn man eine andere Kommunikationsform braucht, um zu beschreiben, was man für ein gesundheitliches Problem hat. Also wie funktioniert das für mich, wenn ich zum Arzt muss?

Schritt 1: Einen Arzttermin vereinbaren

Viele Menschen fragen sich vermutlich, wie man einen Termin vereinbaren kann, wenn man nicht telefonieren kann. Mir sind einige Menschen bekannt, die mir sagen, dass sie gerne jemanden fragen, ob derjenige anrufen kann. Nach meinem Umzug nach Berlin, wollte ich was anderes ausprobieren und bin durch Google darauf gestoßen, dass man bei manchen Praxen auch Termine online vereinbaren kann. Das ist auch praktisch für Menschen, die sich überwinden müssen zu telefonieren. Man gibt auf der Seite zum Beispiel ein, nach welcher Arztrichtung man sucht, den Ort, welche Krankenversicherung man hat, und warum man zum Arzt gehen muss. Und wenn ich den Termin nicht wahrnehmen kann, geht die Absage auch über Mail. Das ist praktisch, wenn man z.B. in der Schule sitzt und man es nicht mehr zum Arzt schafft, oder anders verhindert ist.

Schritt 2: Der Arztbesuch

Wenn ich den Termin für meinen Arztbesuch habe, muss ich an der Rezeption in der Arztpraxis sagen, dass ich nicht hören kann, denn sonst bekomme ich nicht mit, wenn ich aufgerufen werde. Es gab schon mal die Situation, dass die Ärzt*innen dann verwirrt waren, weil sie davon ausgingen, dass ich nur Hemmungen habe beim Telefonieren. Schließlich waren sie erleichtert, dass ich ein bisschen Lippenlesen kann.

Situation im Club. Ein Typ tanzt um eine Frau, die aber nur auf ihrem Handy tippt, und fragt sie genervt: "Ey Baby! Warum beachtest du mich nicht? Biste taub oder was?!" Da zeigt sie ihm ihr Handy, worauf sie getippt hat: "Sorry, ich bin gehörlos. Was hast du grad gesagt?" Und der Typ wird rot.

Typisches Missverständnis zwischen gehörlosen und hörenden Menschen. (Grafik: Adina Hermann, Leidmedien.de)

In Deutschland ist es gesetzlich geregelt, dass ein*e Gebärdensprachdolmetscher*in mit zu einem Arzttermin kommen kann. Jedoch sind dann keine spontanen Arztbesuche mehr möglich, da der/die Dolmetscher*in erst organisiert werden muss. Bei mir ist es meistens so, dass ich immer kurzfristig zum Arzt gehe und außerdem gehe ich sehr gerne allein und bin somit unabhängiger. Doch viele gehörlose und schwerhörige Menschen greifen bei ihren Arztbesuchen auf eine/n Gebärdensprachdolmetscher*in zurück, der/die von den Krankenkassen finanziert wird, um kommunikativen Missverständnissen vorzubeugen und eine für sich bessere Behandlung zu gewinnen.

Inklusive Arztpraxis – Wie es funktionieren kann

Eine Zahnärztin in Hamburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, gehörlose und schwerhörige Patient*innen in ihrer Muttersprache zu behandeln. Auch werden dort gehörlose Menschen zu „Zahnmedizinischen Fachangestellten“ ausgebildet. Man merkt, dass der Zahnärztin die Inklusion der Gehörlosen in Medizinbereich am Herzen liegt: Die Zahnarztpraxis beschäftigt bereits sechs gehörlose Mitarbeiter*innen und bildet dieses Jahr auch weitere zwei schwerhörige und zwei gehörlose Mitarbeiter*innen aus. Das ist für die Gehörlosenszene ein weiterer Schritt in Richtung Inklusion.

Und wie sieht es in Berlin aus? Es gibt in Berlin-Mitte eine Zahnarztpraxis, die Behandlungen auch in Gebärdensprache durchführen kann, allerdings weiß man zu wenig davon, meine Freunde gehen überwiegend zu hörenden Zahnärzten mit Gebärdensprachdolmetscher*innen. Ich lese überwiegend von den Lippen ab, wenn ich zum Zahnarzt muss, weil ich den Arzt, seit ich ein Kind war, kenne. Aber die Zahnarztpraxis Adler in Berlin-Schmargendorf bietet auch Gebärdensprechstunden an, die Homepage ist mit vielen Gebärdensprachvideos ausgerüstet.

(Ablauf einer Sprechstunde beim Zahnarzt in Gebärdensprache)

Mehr Barrierefreiheit in deutschen Arztpraxen

Viele Arztpraxen sind überwiegend nicht barrierefrei, zum Beispiel können auch Rollstuhlfahrer*innen oft nur schwer den Zugang zu den Praxen finden, meistens finden sie im Treppenhaus nur eine Treppe vor und dann gibt es im ersten Stock einen Aufzug. Auch sind Frauenärzt*innen nicht geschult, wie sie Rollstuhlfahrerinnen überhaupt untersuchen sollen. Ansätze gibt es bei zwei bayerischen Spezialambulanzen.

Ärzt*innen sollten sich darauf einstellen, dass aufgrund des demographischen Wandels viele ältere Menschen in die Arztpraxis kommen und selbst nicht mehr so gut hören (oder laufen) können. Und da muss man auch überlegen, wie man auf eine alternative Kommunikationsform zurückgreifen könnte, nicht nur bezüglich der Gebärdensprache. Ich würde mir wünschen, dass die Arztpraxen sich generell besser auf Menschen mit Behinderungen einstellen und damit besser umgehen können. Hier fehlt es an Schulungen und Subventionen für barrierefreie Arztpraxen.

Titelbild: Screenshot https://www.arzttermine.de/