Durch unreflektierte Kommunikation können Menschen diskriminiert werden. Annton Beate Schmidt erklärt, warum es sich nicht lohnt, mit Wut im Bauch darauf zu reagieren.

 

Früh am Morgen, der erste Kaffee, ich lese mich durch die Sozialen Medien. Eine Comedian poltert in einem lustigen Video über Rechtsradikale und gegen Ausgrenzung. „Sehr gut“, denke ich. Plötzlich jedoch pöbelt sie, diese Rechten, die seien doch alle behindert. Der Morgen, mein Kaffee und ihr Video, all das macht mir mit einem Schlag keine Freude mehr. Dafür habe ich jetzt einen schalen Geschmack auf der Zunge. Mich verletzt das. Ich habe eine Behinderung, aber mit Sicherheit keine einzige rechtsradikale Zelle in meinem Körper. Und bescheuert, was die Frau nämlich eigentlich über Rechtsradikale sagen möchte, das bin ich auch nicht. Jedes Mal wenn Menschen das Wort behindert als Schimpfwort benutzen, trifft mich das. Es wertet mich und meine Identität ab. Es macht etwas, dass ein Teil von mir ist, zu etwas Schlechtem. Für Manche mag es unglücklich formuliert sein, für mich ist das ein Zwicken. An immer wieder der gleichen Stelle. Früher oder später hinterlässt jedes noch so kleine Zwicken schließlich eine Wunde. „Boah, du bist doch behindert“, ist ein Satz, mit dem ich schlicht und ergreifend vor die Tür gestellt werde. Und mit mir viele andere Menschen.

Für einen kurzen Moment zucke ich zusammen und möchte die Frau, einem klassischen Reflex folgend, harsch zurechtweisen. Ihr meine Verletzung entgegen schleudern. Ich fange an, einen Kommentar in die Tasten zu hauen. Ich bin verletzt und sauer. Stinksauer. Wie oft habe ich mich schon in Kommentarspalten darüber gestritten. Habe versucht zu erklären, warum es absolut nicht ok ist, Behinderung oder behindert als größtmögliche Abwertung zu verwenden. Immer bin ich die, die bei Geschäftsessen oder bei Familienfeiern komisch angesehen oder als überempfindlich eingestuft wird, weil ich den Sprachgebrauch der Anderen kritisiere. Und manchmal bin ich es so Leid, weil andere Menschen ignorant und verletzend mit Begriffen umgehen. soll ich meine Verletzung herunterschlucken? Die Anderen nicht nerven und nicht anstrengend sein? Sprache ist Macht und sie schafft Realitäten, weil Worte unser Denken formen und umgekehrt. Das passiert in einem ständigen Wechselspiel, entweder unbewusst, durch eine Art unausgesprochenen gesellschaftlichen „Deutungskonsens“, oder ganz bewusst. Jedes Mal also, wenn die Worte Behinderung oder behindert als Schimpfwort benutzt werden, wertet der- oder diejenige, die sie aussprechen, ganz nebenbei auch Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen ab. Irgendwann empfindet man das Wort behindert als etwas schlechteres als nichtbehindert.

„Ach, die Treppen tragen wir dich einfach hoch“

Eine Weile nachdem ich den Ärger über die morgendliche Facebookgeschichte hinter mir gelassen habe, sitze ich in einer Telefonkonferenz mit einer Auftraggeberin. Ich wurde gebucht, um eine Keynote zum Thema Inklusion zu halten. Der Termin und der Ablauf stehen bereits seit Wochen fest. Wir haben mehrfach Vorgespräche geführt, über den Inhalt der Veranstaltung kommuniziert, auch über die Tatsache, dass ich mich mit Krücken und im Rollstuhl bewege, und nun sind nur noch ein paar kleine Details zu klären. Solche Veranstaltungen und das Sprechen vor Menschen, die sich über Teilhabe und Gleichberechtigung informieren wollen, liegen mir besonders am Herzen. Als Frau mit einer Behinderung geben sie mir die Möglichkeit, aus erster Hand zu erklären, warum ich Inklusion so wichtig finde. Es ist einer der effektivsten Wege über mein Verständnis von einer solidarischen Gesellschaft zu sprechen, die uns am Ende alle stärken würde. Und ich kann auf Fragen und Widerstände reagieren, auf Unsicherheiten. So entsteht ein wirklicher Dialog, ein Gespräch, in dem ich nicht nur meine Position verdeutlichen kann, sondern auch mehr über die meiner Gegenüber erfahre. Kurz, ich freue mich auf die Veranstaltung.

Zum Ende des Telefonates beginnt die Frau auf der anderen Seite merklich herumzudrucksen. „Es gibt da im Übrigen noch eine kleine Sache, die wir klären müssen. Nämlich wie du in den Veranstaltungsraum kommst.“ Ich frage irritiert nach, wie sie das meint. Sie eröffnet mir, dass sich der Raum im zweiten Stockwerk eines Altbaus befindet. Ohne Aufzug. 

Während sie vorschlägt, mich doch von den Kollegen die Treppe hinauftragen zu lassen, fängt es in meinen Kopf an zu pochen. So könne man das Problem, wie sie sagt, lösen. Ich möchte schreien und suche innerlich nach einem Ausweg. Sich als erwachsene Frau von irgendwelchen Menschen herumtragen zu lassen, ist nichts Anderes, als erniedrigend und unter keinen Umständen eine Option.

Eine Demonstration. Im Vordergrund ein Rollstuhlfahrer, am Rollstuhl ein Schild: Ich bin dagegen.

Agieren statt reagieren

Das sind nur zwei Beispiele für Diskriminierungen, mit denen ich als Frau mit einer Behinderung täglich zu tun habe. Sie stellen mich ständig vor die Situation, eine Meinung zu haben, meine individuellen Bedürfnisse zu erklären oder mich positionieren zu müssen. Positionieren zu müssen? Eine Frage, die ich mir in der letzen Zeit immer häufiger stelle.

Über die Jahre empfinde ich es immer anstrengender, voller Anspannung damit rechnen zu müssen, auf eine unerwartete Barriere zu treffen, auf Unwissen gegenüber meinem Alltag mit Behinderung oder gar auf Ablehnung. Auf der einen Seite will ich meine Emotionen bezüglich Diskriminierung nicht herunterschlucken und deutlich darauf hinweisen. Auf der anderen Seite mich dem aber auch nicht hilflos ausgeliefert fühlen und einen permanenten Kleinkrieg mit meiner Umgebung führen. Ich halte es für absolut notwendig, die eigene Energie einzuteilen und nicht in einen Modus zu verfallen, auf alles zu reagieren. Nicht grundsätzlich misstrauisch zu sein. Und auf keinen Fall bitter zu werden.

Ich möchte mir meine Fähigkeit, auf Menschen zugehen zu können, behalten. Und auch meine Lust an neuen Orten und unbekannten Situationen, ohne hinter jedem Missverständnis etwas Böses zu vermuten. Wenn ich heute Diskriminierung erfahre, versuche ich für einen Augenblick inne zuhalten und kurz aus der Situation herauszutreten. Wenn ich danach weiterhin das Bedürfnis habe zu reagieren, kann ich das immer noch tun. Allerdings weit weniger emotional und mit einer gesunden Portion Distanz.

Es geht nicht darum, immer gelassen und freundlich zu reagieren oder sich eine dicke Haut zuzulegen. Natürlich hat jeder und jede ein Recht sauer zu werden, hat das Recht, Wut und Verletzung auch zu formulieren. Allerdings macht es in meinen Augen mehr Sinn, in einen längeren Dialog miteinander zu treten und über größere Themenfelder miteinander zu diskutieren, anstatt sich gegenseitig anzupöbeln. Dieses gegenseitige Anschreien in den sozialen Netzwerken nervt mich. Dazu kommt, dass die Missverständnisse sich auf diesem Weg oft eher potenzieren, am Ende bleiben nur hoher Blutdruck und eine unangenehme Stille.

Wenn wir wirkliche Veränderungen sehen wollen, müssen besonders auch wir Menschen mit Behinderungen aus dem Hamsterrad heraus, ständig auf Dinge zu reagieren. Wir müssen aktiv werden, indem wir unsere Geschichten aufschreiben, uns mit anderen zusammenschließen, vielleicht eine Podiumsdiskussion planen oder Workshops veranstalten, bei denen wir nichtbehinderten Menschen helfen, unsere Sichtweisen zu verstehen. Es gibt unfassbar viele Möglichkeiten, sichtbar zu werden und dabei aber genauso respektvoll mit Anderen umzugehen, wie wir selbst behandelt werden möchten. Meckern ist zu einfach. Egal in welchem Bereich. Missstände ankreiden ist eine Sache, Missstände aus dem Weg zu räumen, eine andere. So können gesellschaftliche Prozesse viel eher angeschoben werden und wir als Individuen sind vielleicht ein ganzes Stück weniger müde. Weil, so oder so, Veränderung sind eher ein Marathon als ein Sprint und benötigen Ausdauer.

„Nein“ sagen, mit Respekt

Am Ende habe ich den Sprecher*innen Auftrag abgesagt. Ich habe freundlich erklärt, dass der barrierefreie Zugang in einem solchen Zusammenhang, sozusagen meine Mindestvoraussetzung ist, um einen solchen überhaupt anzunehmen. Und, dass ich mich auf eine erneute Zusammenarbeit freue, wenn die Bedingungen beim nächsten Mal inklusiver sind. Den Kommentar unter das Video habe ich nicht geschrieben. Ich hatte keine Lust schon wieder nur zu reagieren oder mich in Rage zu reden. Dafür habe ich jetzt diesen Text geschrieben.

Titelbild: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de 
Artikelbild: Jörg Farys | Gesellschaftsbilder.de