Die Kampagne “Licht ins Dunkel” (LiD) des Österreichischen Rundfunks (ORF) ist jedes Jahr ein mediales Großereignis zur Weihnachtszeit. Sie vermittelt das Bild von Menschen mit Behinderung, die immer noch auf Spenden angewiesen sind. Ein Kommentar von Karin Chladek.
“Sieh das Besondere. Nicht die Behinderung.” So warb die Kampagne “Licht ins Dunkel” (ORF) 2012 für Spenden. Mit einem Spot, der außergewöhnliche Leistungen von Menschen mit Behinderung zeigt: der Dozent im Rollstuhl bekommt Standing Ovations, der Kampfsportler mit fehlender Hand gewinnt das Turnier. Im Jahr 2014 wird die Spendenaktion von der Eurovision-Songcontest-Gewinnerin Conchita Wurst präsentiert, die für den Kauf einer Musik-Cd inklusive Spende wirbt. Positive und weltoffene Bilder, die da über den Bildschirm flimmern, möchte man meinen. Doch die bekannteste Medienaktion Österreichs zum Thema Behinderung vermittelt seit 40 Jahren ein Bild von behinderten Menschen, das nicht mehr zeitgemäß ist.
Spot 2012
Prägende Bilder von “Opfern” und “Helden”
Es wird das Bild von Österreich als großer Familie gezeichnet, die sich natürlich auch um ihre hilflosen Kinder kümmert – jene mit Behinderungen. Grundsätzlich brauchen diese die Unterstützung der Gesellschaft. Und tatsächlich konnte die Kampagne 2014 am aufkommensstärksten Spendentag, der Gala am 24.12., knapp 5,8 Millionen Euro an Spendengeldern sammeln, für rund 430 Sozialprojekte, die sich hauptsächlich der Unterstützung von Kindern mit Behinderung widmen.
Nur der direkte Zusammenhang mit freiwilligen Spenden für behinderte Menschen hinterlässt bei den Betroffenen selbst einen schalen Beigeschmack. Man fragt sich: Müssen behinderte Menschen erst etwas Außergewöhnliches leisten, um akzeptiert zu werden, wie es der Spot von 2012 suggeriert? Und müssen kranke Kinder erst geheilt werden, damit sie nicht “den Weg alleine gehen” müssen, wie es der Spot von 2013 erzählt?
Spot 2013
“Staatstragende Aktion”: Politik per Spendentelefon
Den Höhepunkt der wochenlangen Kampagne bildet abschließend die Spendengala am 24. Dezember, die ganztägig auf ORF2 ausgetrahlt wird und bei der die gesamte politische Spitze Österreichs anwesend ist. Die PolitikerInnen – selbst Bundespräsident und Bundeskanzler – besetzen die Spendentelefone oder geben Interviews zur aktuellen Parteipolitik. Alle beteuern, welch großes Anliegen ihnen die unbürokratische Hilfe für Menschen sei, „die es nicht so gut getroffen haben“. Durch die Verankerung von öffentlich-rechtlichen Medien und der Politik wird “Licht ins Dunkel” somit jährlich zu einer “staatstragenden Aktion”, wie es der Journalist und Aktivist Martin Ladstätter von BIZEPS -Zentrum für Selbstbestimmtes Leben formuliert.
Hätten jedoch SpitzenpolitikerInnen nicht andere Möglichkeiten und Pflichten, vor allem in einem Land, das die UN-Behindertenrechtskonvention bereits 2008 ratifiziert hat? „Spenden sind zwar gut gemeint, sollten aber nicht das ‚ersetzen‘, was eigentlich Aufgabe des Sozialstaates wäre,“ betont die Politikwissenschaftlerin Dr. Ursula Naue der Universität Wien. Es wäre zum Beispiel wichtig dafür zu sorgen, dass die Inklusion im Bildungsbereich schneller vorankommt oder in den Bauordnungen der verschiedenen Bundesländer mehr auf Barrierefreiheit geachtet wird. Teure “Nachbesserungen”, wie z.B. beim Flughafen Wien, könnten vermieden werden, wenn mehr Behindertenverbände in die Planungen miteingebunden würden. Und ganz nebenbei: Die Kriterien für den Erhalt des österreichischen „Pflegegeldes“ werden 2015 verschärft.
“Lichtblicke” am österreichischen Medienhimmel
So sehr die Kampagne “Licht ins Dunkel” all diese wichtigen Themen in den Hintergrund drängt, können doch einige positive Entwicklungen in den Medien beobachtet werden: Zum einen wird das Thema Behinderung generell zum Jahreswechsel vermehrt in den Medien behandelt, und besonders inklusiv von RedakteurInnen des ORF-Radiosender FM4 (z.B. über ein Leben mit Assistenz oder die Selbstbestimmung für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen).
Zum anderen moderiert jetzt auch der einarmige Moderator Andreas Onea die Spendengala zu Weihnachten. Damit wird die Kampagne der Anforderung “nichts über uns ohne uns” gerechter, dessen Kritik sich auch Conchita Wurst, Gewinnerin des Europäischen Song-Contests, im neuen Spot 2014 stellen musste. Solche inklusiven Veränderungen der Medien begrüßt der Aktivist Martin Ladstätter und betont, dass gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Österreichs fortschrittliche Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen, etwa in Ö1 oder FM4 sowie in TV-Magazinsendungen wie „Report“, „Hohes Haus“ oder „Bürgeranwalt“, zu beobachten sei. Er geht dann aber noch einen Schritt weiter und fragt zur Wahl für den einarmigen Moderator: “Ist seine physische Eigenschaft der einzige Grund, warum er vom ORF als Moderator einer Spendengala eingesetzt wird? Wenn nein, warum darf er nicht etwa das Politmagazin ‚Report‘ oder andere Sendungen (ohne Bezug zu Behinderung) moderieren?“
Spot 2014
Inklusion weiter gedacht: immer und überall
Auch betrachtet Ladstätter es als problematisch, dass durch die LID-Aktion zwischen November und Januar so viele Beiträge über Menschen mit Behinderungen gemacht werden „müssen“, dass als Resultat viele RedakteurInnen des ORF dann eine Weile genug haben von dem Thema. Doris Becker-Machreich vom ÖZIV, einer Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen, sieht über das Jahr verteilt zwar viele gute Berichte auch von anderen österreichischen Medien als dem ORF, aber das Problem sei oft, dass das Thema Inklusion nicht ressortübergreifend gedacht werde: „Auch RedakteurInnen aus Wirtschaft, Kultur oder Sport berichten über Menschen mit Behinderungen. Aber da sie das nicht als „ihr“ Thema begreifen, setzen sie sich nicht mit dem Wording auseinander. Der „an den Rollstuhl Gefesselte“ kommt in der Kultur- oder Sportberichterstattung deshalb leider immer noch vor.“ Der ÖZIV will respektvolle Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen durch den alljährlich ausgeschriebenen „ÖZIV-Medienpreis“ fördern.
Ist es eine Frage der Zeit, bis das Bild von behinderten Menschen auch in Österreich mehrheitlich ein anderes wird? Sicher. Aber das kann dauern. Nicht nur die Medien Österreichs, auch die Politik und Wirtschaft des Landes sind stark von einer älteren Generation geprägt, die mehrheitlich eher konservativ ist und mit ihrer Weltsicht das Land möglicherweise noch eine ganze Weile dominieren wird. Daher sei eine Kampagne zu einer neuen Bewusstseinsbildung für Inklusion, ähnlich der „Aktion Mensch“ in Deutschland, wichtig. Ladstätter: „Die meisten Leute in den Medien (und nicht nur dort) wissen nicht einmal, was Inklusion ist.“ Wird also Zeit, es Ihnen zu erklären – wie in der Sendung „Zitronenwasser“ von Ernst Spiessberger und mit Martin Habacher zum 40jährigen Jubiläum der “Licht ins Dunkel”-Kampagne:
Wünsche an die “Licht ins Dunkel” – Kampagne
Screenshot der Sendung „Licht ins Dunkel“ vom ORF.