Behinderung war auch 2018 als Thema in vielen Facetten in den Medien vertreten. Ob in der Politik durch die Wahlrechtsausschlüsse, in der Kultur durch barrierefreie TV-Sendungen oder im Sport durch erfolgreiche Medaillengewinner*innen.

Behinderung in den Medien

  • „‚Wir wollen Ihnen das Kind ja nicht gleich wegnehmen, aber wir müssen doch mal nachschauen!‘ sagte die Dame vom Jugendamt.“ In der taz-Kolumne Blind mit Kind“ schreibt Hannah Reuter über das Gefühl blinder Eltern, ständig im Umgang mit ihren Kindern begutachtet zu werden.
  • Kein Sex, kein Job? Das Format „Deutschland3000“ räumt mit Hilfe von Protagonist*innen mit Vorurteilen auf, die gegen behinderte Menschen herrschen. Mit dabei sind u.a. Raul Krauthausen und unser Autor Wille Felix Zante

Kulturelles

  • Die Sesamstraße wurde 2018 endlich barrierefrei! Nun gibt es eine Hörfilmfassung und eine Version in Gebärdensprache.
  • Die französische Paralympics-Gewinnerin und 15-fache Weltmeisterin im Alpinen Ski, Marie Bochet wurde Botschafterin der Kosmetikmarke L’Oréal Paris.
  • Ein gutes Beispiel für Disability Mainstreaming: Den Titel der neuen Ausgabe der „Teen Vogue“ schmückt das amerikanische Model Jilian Mercado. Auch ihre Kolleginnen Chelsea Werner und Mama Cax werden im dazugehörigen Artikel porträtiert. Im Text wird der beschwerliche Weg in die nicht inklusive Modebranche nachgezeichnet.
  • Tod des Physikers Stephen Hawking in den Medien: Am 14. März starb der Physiker Stephen Hawking. Wir berichteten im Blog, wie Medien auf dieses Ereignis reagierten. Lilian Masuhr kommentierte in der taz: “Wie weit kann es ein Mensch mit Behinderung überhaupt schaffen, uns mit Theorien über das Weltall zu bereichern, um dennoch nur auf eins reduziert zu werden: den körperlichen Zustand?”
  • Im Juni fand in Zürich die “Oper für alle“ statt, mit Live-Audiodeskription und Gebärdensprachdolmetschung. Im Video sind der Tenor Piotr Beczala und die Gebärdensprachdolmetscherin Lilly Kahler im Gespräch über den barrierefreien Musikgenuss.

Film- und Fernsehbranche

Politisches

  • 2018 mussten behinderte Menschen wieder um grundlegende Rechte kämpfen. Auch Birgit Kalwitz. Sie braucht rund um die Uhr Assistenz, die ihr nicht bewilligt wurde. In der Sendung ZDF Volle Kanne spricht sie über den nervenaufreibenden Kampf. Im Mittelpunkt des Interviews steht leider eher die Bewunderung des Journalisten für das Autofahren und die Tochter der Protagonistin, als die Barrieren, die sie an einem selbstbestimmten Leben hindern. Nach einem langen Kampf und einer Kampagne mit Petition wurde Kalwitz die benötigte Assistenz zuerkannt. 
  • Von 10% auf 100%? Ab 2019 werden alle Debatten und öffentlichen Ausschusssitzungen des Deutschen Bundestags live in Gebärdensprache gedolmetscht und mit Untertitel im Internet übertragen. „Gehörlose und Schwerhörige haben das gleiche Recht auf volle politische Teilhabe wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger“, sagt Matthias Bartke, Vorsitzender des Sozialausschusses des Deutschen Bundestages.
  • Brandenburg führt das Wahlrecht für Menschen unter Betreuung ein. „Damit können künftig auch Menschen wählen gehen und in öffentliche Ämter gewählt werden, die ihren Alltag nicht allein bewältigen können. Bisher waren Brandenburger unter Betreuung in allen Angelegenheiten vom Wahlrecht ausgeschlossen. Betroffen waren 2.500 Menschen”, meldet der RBB. Damit sei Brandenburg erst das dritte Bundesland, welches die UN-Behindertenrechtskonvention in dieser Sache umsetze.
  • Wie klappt es eigentlich mit der Inklusion in Deutschland? Der UN-Menschenrechtsrat zeigt sich in einem Bericht verwundert, dass es in Deutschland „trotz reichhaltig vorhandener Ressourcen immer noch umfassende Diskriminierungen behinderter Menschen gibt.“
  • Jürgen Dusel, der neue Bundesbehindertenbeauftragte möchte sich verstärkt um barrierefreien Wohnraum und die Inklusion in der Schule kümmern.
  • Anlässlich des Bundesteilhabegesetzes wurde auch die Einführung von sogenannten unabhängigen Beratungsstellen von behinderten Menschen für Menschen mit Behinderung eingeführt. Die BR-Sendung “Sehen statt hören” hat das Angebot getestet. Mittlerweile regt sich neuer Protest unter den Aktivist*innen. Unter dem Motto #NichtMeinGesetz protestierten behinderte Menschen bereits 2016 gegen das umstrittene Bundesteilhabegesetz. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales versprach daraufhin die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Nun droht allerdings eine Verschlechterung, die anhand von Marcus Igel aufgezeigt wird. Er soll in einem Heim untergebracht werden anstatt zu Hause mit Assistenz selbstbestimmt leben zu können. „…Werkstätten sind Teil der Lösung und nicht des Problems, denn sie machen den Arbeitsmarkt in Deutschland erst inklusiv,“ heißt es in einer Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) und der Werkstatträte Deutschlands. Die neu formierte „Initiative Inklusion“ widerspricht dieser Aussage in einem offenen Brief und fordert die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Sportliches

  • Mit Serdal Celebi vom FC St. Pauli hat zum ersten Mal ein blinder Fußballspieler das “Tor des Monats” der ARD-Sportschau geschossen.
  • Die Intersektionalität von Sportler*innen war dieses Jahr ebenfalls Thema. Der Rennrollstuhlfahrer Alhassane Baldé sprach mit dem Deutschlandfunk über seine Sicht darauf. Über die Parallelen in der allgemeinen Berichterstattung über Behinderung und Migration schrieben Laila Oudray und Judyta Smykowski in der taz.
  • Vom 9. bis zum 18. März fanden die Paralympics in Pyeongchang statt. Insgesamt 19 Medaillen gewann das deutsche Team. Die Übertragung der diesjährigen Paralympics fand zum ersten Mal auch mit Gebärdensprache statt. Die Berichterstattung war diesmal schon viel mehr auf den Sport fokussiert, allerdings kann dabei immer noch einiges verbessert werden, kommentierte Judyta Smykowski in der taz. Eine Übersicht über die Berichterstattung sowie die Broschüre mit Tipps, die wir zusammen mit der Aktion Mensch herausgebracht haben, finden sich hier
  • 42 Medaillen bei 39 Athlet*innen; das ist die Bilanz der Para Leichtathletik-Europameisterschaft 2018 in Berlin. Insgesamt kam das deutsche Team im Medaillenspiegel auf 14 Gold-, 19 Silber- und 9 Bronzemedaillen und landete im Medaillenspiegel hinter Polen, Ukraine, Großbritannien und Frankreich auf dem 5. Rang.
  • Die deutschen Damen haben bei der Rollstuhlbasketball-Weltmeisterschaft in Hamburg das kleine Finale und somit Bronze gewonnen. Die Herren belegten am Ende Platz 13.
  • Die Bahnradsportlerin Kristina Vogel ist seit einem Unfall im Sommer auf den Rollstuhl angewiesen. Durch dieses Ereignis war sie medial sehr präsent. Dunja Hayali erwähnt im aktuellen Sportstudio vor dem Interview, dass Vogel ihr die Erlaubnis gab, alles fragen zu dürfen. Im Anschluss stellt Hayali die drastische Frage, ob Vogel manchmal an Suizid denke, welches die Sportlerin verneint. Diese Frage löste viel Kritik von behinderten Menschen aus, da damit das Klischee untermauert werde, ein Leben mit Behinderung sei weniger wert. Am Ende des Gesprächs gesteht Hayali, dass Vogel vor ihrem Unfall nie ins Sportstudio eingeladen wurde. Auch nicht in der Zeit, als sie mehrere Goldmedaillen gewann. Bei der Auszeichnung „Sportlerin des Jahres“ bekommt Vogel den zweiten Platz. Alle sind sich einig; sie verdiene für ihren Mut und ihre Stärke den Preis. Ihre sportliche Leistung vor dem Unfall ist im Gespräch bei der Verleihung beinahe Nebensache. Ihre Teamkolleg*innen müssen sie ein paar Stufen hochtragen, damit sie die Auszeichnung überhaupt entgegennehmen kann. Da haben wir von den SOZIALHELDEN mehrere Tipps: eine mobile Rampe von Wheelramp. Dazu im Vorteilspaket: eine Beratung durch die Macher*innen unseres Projekts Ramp-up.me für barrierefreie und inklusive Veranstaltungen.

Arbeit und Behinderung

Ein Tischler im Rollstuhl hobelt ein Stück Holz ab.
Eine Frau und ein Mann prosten sich zu. Der Mann trägt ein Hörgerät

In eigener Sache

Intersektionalität und Vielfalt in den Medien, nicht nur auf Menschen mit Behinderung bezogen – dies waren Themen, mit denen wir uns in diesem Jahr in unserer Arbeit besonders auseinandergesetzt haben. 

  • Zusammen mit den Neuen Deutschen Medienmachern und dem Lesben- und Schwulenverband waren wir Gastgeber*innen der Veranstaltungsreihe “Die Salonfähigen.“ Die Organisationen referierten, wie über ihre Zielgruppen jeweils berichtet wird. Dabei kamen viele Parallelen in der Berichterstattung über behinderte Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte, lesbische und schwule sowie Transmenschen zum Vorschein. Gemeinsam mit Konstantina Vassiliou-Enz der Neuen Deutschen Medienmacher und Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland diskutierte Judyta Smykowski von Leidmedien.de darüber, was Journalist*innen tun können, um Klischees in der Berichterstattung zu vermeiden und Redaktionen vielfältiger zu besetzen. Moderiert wurde der Abend von Katrin Gottschalk, stellvertretende Chefredakteurin der taz. Einen Rückblick auf die Termine gibt es auf Leidmedien.de und beim LSVD.
  • Mangelnde Vielfalt unter deutschen Journalist*innen: Der Deutschlandfunk griff in einem Beitrag das Thema Diversität in den Medien“ auf. Dabei wird die mangelnde Vielfalt in Deutschlands Redaktionen kritisiert. Auch Leidmedien.de ist mit einem Statement dabei. In diesem Jahr haben wir uns mit diesem Thema intensiver beschäftigt: „Journalist*innen mit Behinderung – bitte mehr davon“ ist eine Broschüre, die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Journalistenverband entstand. Darin werden behinderte Medienschaffende porträtiert und Tipps für Bewerber*innen und Chef*innen gegeben. Auf der diesjährigen Internetkonferenz re:publica war das Thema Vielfalt in den Medien breit vertreten. Eine Übersicht über die Sessions gibt es bei Leidmedien.de. Wir waren selbst mit Vorträgen dabei: Wir sprachen über klischeehafte Stockfotos und unsere Publikation Journalist*innen mit BehinderungDie Broschüre kann hier runtergeladen werden. (Eine Printversion ist auf Anfrage auch verfügbar.)
  • Die Kinderquizsendung „1, 2 oder 3“ hatte zum ersten Mal einen Kandidaten im Rollstuhl, auch dank unserer Beratung für das ZDF und die Produktionsfirma
  • Der Grimme Online Award in der Kategorie „Spezial“ wurde an Raul Krauthausen vergeben. Die Jury würdigte “sein unermüdliches Engagement als Inklusions-Aktivist, der Initiativen wie die Sozialhelden oder Websites wie Wheelmap.org und Leidmedien.de auf den Weg gebracht hat und der auf Twitter und Facebook bemerkenswert sichtbar den Dialog zu Aspekten der Inklusion führt”. Die ausführliche Begründung der Jury findet ihr hier.
  • Ebenfalls hatte Raul Krauthausen einen Gastauftritt in der Comedyserie jerks. mit Christian Ulmen und Fahri Yardim auf ProSieben. Die 4. Folge in Staffel 2 trägt den Titel “Fuß.“
  • Die SOZIALHELDEN haben ein neues Projekt gelauncht: TV für alle, eine digitale Programmzeitschrift, die das Auffinden barrierefreier Inhalte im Fernsehen leichter macht.
  • Workshop zur Bildberichterstattung „Voll im Bild?!“: Gemeinsam mit den Neuen Deutschen Medienmachern und dem Lesben- und Schwulenverband hat unser Schwesterprojekt Gesellschaftsbilder einen Workshop zu klischeefreien Bildern veranstaltet. Eine erste Besprechung der Veranstaltung von der Journalistin Bärbel Röben gibt es hier. Einige Bilder, die bei dem Treffen entstanden sind, seht ihr in den „Gesellschaftsbildern des Jahres.“
  • Alle Artikel von unseren Autor*innen, die 2018 auf Leidmedien.de erschienen sind, findet ihr in diesem Thread auf unserem Twitteraccount.

Wir wünschen euch schöne Feiertage und ein fröhliches und gutes 2019!

 

Unsere Gesellschaftsbilder des Jahres

Fotocredits:

Titelbild und Beitragsbilder: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Gallerie: Andi Weiland, Julia Schönstädt, Anna Spindelndreier, Daniela Buchholz, Melina Mörsdorf, Jörg Farys, Hannah Aders, Alexander Gehring