Und schon ist auch 2019 wieder rum. Was im vergangen Jahr im Bereich Inklusion, medial, politisch und auch gesellschaftlich los war, fassen wir hier zusammen. 

Politisches

  • Auch 2019 mussten Aktivist*innen mit Behinderung protestieren, um ihre Rechte zu behalten: Gesundheitsminister Jens Spahns Gesetzentwurf zur Stärkung von Rehabilitation und intensivpflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (RISG) stand in der Kritik. Das Gesetz soll laut des CDU-Politikers eine Unter- und Fehlversorgung im Bereich der Intensiv- und Beatmungspflege verringern, indem betroffene Patient*innen in Zukunft ausschließlich in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder Wohneinheiten versorgt werden. Organisationen wie AbilityWatch und der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisieren in ihren Stellungsnahmen den Gesetzentwurf, da sie eine Einschränkung der Wohnortswahl und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von Menschen mit Behinderung fürchten.
    Beim Tag der offenen Tür im Bundesgesundheitsministerium am 18. August demonstrierten über 60 Menschen mit und ohne Behinderung gegen den Gesetzentwurf. Anna Spindelndreier war für Gesellschaftsbilder.de vor Ort und hat die Proteste festgehalten. Ein Bild davon zierte die Titelseite der taz. Auch ein überarbeiteter Entwurf des Gesetzes stößt auf Proteste. Die Aktivist*innengruppe AbilityWatch meint: AbilityWatch e.V. ist enttäuscht über den neuen Entwurf: „Während zwar beim BMG die Botschaft anzukommen scheint, dass die Art und Ort der Behandlungspflege Basis für Selbstbestimmung und Teilhabe sind, stellt das BMG genau diese Menschenrechte gleichwohl grundsätzlich unter Mehrkostenvorbehalt. Wann ein Mensch an der Gesellschaft teilhaben kann und wann für seine individuelle Situation eine angemessene Versorgung vorliegt, soll nicht der betroffene Mensch entscheiden, sondern der Kostenträger. AbilityWatch lehnt dies mit Nachdruck ab.“
  • Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde von Deutschland vor 10 Jahren ratifiziert. Anlässlich dessen hat das Deutsche Institut für Menschenrechte eine Bilanz gezogen. Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention blickt in der Pressemitteilung in die Zukunft: „Zentrale Aufgabe der nächsten Jahre ist es, die strukturell angelegte Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen abzubauen. Erst wenn jeder Mensch von Anfang an und unabhängig von Art und Schwere einer Beeinträchtigung gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben kann, ist Inklusion erreicht.“ Inklusion komme nicht nur den Menschen mit Behinderungen, sondern allen zugute, sie sei Ausdruck der Wertschätzung menschlicher Vielfalt. Wir haben die Ergebnisse auf unserer Facebook-Seite zusammengefasst. 

Behinderung und Medien

  • Wir haben unsere Seite über Journalist*innen mit Behinderung komplett überarbeitet und sie erstrahlt nun im neuen Glanz. Gemeinsam mit dem Deutschen Journalistenverband hatten wir 2018 eine Broschüre herausgegeben, in der wir behinderte Journalist*innen porträtierten und Tipps für Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen in den Medien gaben. Nun sind zwei frische Porträts dazugekommen: Lisa Stegner befragte den blinden Reiseredakteur Christoph Ammann über seinen Werdegang. Jonas Karpa sprach mit dem sehbehinderten Henning Schmidt von radioeins. 

Beratung des Kinofilms “Die Goldfische”

Zwei Jahre lang haben wir die Filmproduktionsfirma Wiedemann und Berg beim Drehbuch zum Kinofilm „Die Goldfische“ beraten. Dabei setzten wir uns für eine authentische Besetzung der Rollen mit behinderten Menschen ein, was nicht immer gelungen ist. Außerdem sprachen wir viel über die Handlungsstränge im Drehbuch des Roadmovies, klärten über Inspiration Porn auf und diskutierten gängige Klischees über behinderte Menschen, die vermieden werden sollten.

Im Vorfeld des Kinostarts am 21. März haben wir mit den Protagonist*innen von „Die Goldfische“ gesprochen. Judyta Smykowski sprach mit den Schauspieler*innen Luisa Wöllisch und Tom Schilling und stellte Ihnen die Frage, ob sie sich in ihren Charakteren authentisch gefühlt haben. Außerdem ging es um die Frage, wie man das Filmgeschäft inklusiver gestalten kann.

Raul Krauthausen sprach mit Justyna Müsch, der Produzentin des Films “Die Goldfische” und dem Regisseur Alireza Golafshan über die realen Vorbilder des Films, Cripping Up und Inklusion im Filmgeschäft. Außerdem stand zur Debatte, ob Humor zu mehr gesellschaftlicher Akzeptanz führen würde.

Die Interviews sind in unserer neuen Rubrik „Leidmedien im Gespräch“ zu sehen. Dort spricht die Redaktion mit Aktivist*innen, Politiker*innen Künstler*innen oder Filmschaffenden, um über die Darstellung und Position von behinderten Menschen in den Medien und der Gesellschaft zu sprechen.

Film und Fernsehen

  • Inklusion in der US-Filmbranche: US-Showmaster Larry King spricht in seiner Talkshow „Larry King Now“ u.a. mit den Schauspielern CJ Jones und RJ Mitte über die inklusive US-Filmbranche. Jonas Karpa fasst die Diskussion zusammen
  • People of Color: „…was die Besetzung mit People of Color angeht, nenne ich mal meinen Lieblingssatz, den mir Regisseure, Produzenten und Castingdirektoren immer wieder gerne sagen: ‚Ja, Langston aber wir müssen dem Zuschauer doch erklären, warum du Schwarz bist.'“ Schauspieler Langston Uibel im Gespräch mit VOGUE Germany
  • Kinofilm „Joker“: Ein Bericht bei Hollywoodreporter untersucht, welche Rolle „Behinderung“ im Thriller „Joker“ spielt. (Achtung: Text enthält Spoiler).

Vielfalt in den Medien 

Kulturelles

  • Literarische Figuren mit Behinderung: Wenn Menschen mit Behinderung in Filmen oder Büchern vorkommen, dann spielt ihre Behinderung meist eine zentrale Rolle in der Geschichte. Unsere Autorin Andrea Schöne hat den Kriminalroman „Wo Rauch ist“ unter diesem Gesichtspunkt analysiert.
  • Frauen mit Behinderung im Diskurs: Unsere Autorin Tanja Kollodzieyski verglich anlässlich des Internationalen Frauen*tags am 8.März zwei Bücher über Frauen mit Behinderung. Im Jahr 1985 erschien mit „Geschlecht: Behindert, besonderes Merkmal: Frau“ das erste deutsche Sachbuch, welches Frauen mit Behinderung selbst schrieben. 25 Jahre später wurde das Buch „Gendering Disability“ veröffentlicht.

Gesellschaft

  • Im Gespräch: Kristina Vogel war zu Gast in der Leidmedien-Redaktion. Nach ihrem schweren Unfall hat die ehemalige Bahnrad-Olympiasiegerin viele neue Aufgaben übernommen: Influencerin, Politikerin, TV-Kommentatorin. Wir haben mit ihr ein kurzes Interview geführt.

Alles neu in 2020: Die Neue Norm startet 

Dank der Deutschen Industrienorm (DIN) wissen wir, wie groß ein Blatt Papier ist, welche Steigung eine Rampe vor einem Gebäude haben darf und wie wir ein Haus bauen müssen, damit es gewisse Standards erfüllt. Doch Normen haben auch etwas einengendes, auch passen nicht alle Menschen in die Norm, die von der Mehrheitsgesellschaft als solche definiert wird. Wir wollen Normen hinterfragen und aufbrechen. Mit Texten, Beiträgen und einem monatlich erscheinenden Podcast. 

Die Neue Norm soll ein Online-Magazin sein, das verschiedene Fragen und gesellschaftspolitische Mechanismen behandeln und infrage stellen wird. Besonders wollen wir das Thema Behinderung in einen neuen Kontext setzen; raus aus der Charity- und Wohlfahrtsecke, rein in den Mainstream, in die Mitte der Gesellschaft. Dazu wird es einmal im Monat einen Podcast geben, der Fragen rund um Behinderung, Gesellschaft und Medien aufgreift. 

Wir wünschen Euch alles Gute für 2020!

Bilder: Jörg Farys, Anna Spindelndreier, Andi Weiland