Wie werden Menschen mit Behinderung in Massenmedien dargestellt? Kommen sie überhaupt vor? Wenn ja, wie? Eine neue Studie für Österreich bestätigt, dass alte Klischees über behinderte Menschen immer noch da sind und medial verstärkt werden. Karin Chladek fasst die Studie zusammen.

Welches Bild wird von Menschen mit Behinderung gezeichnet? In einem Land, das die UN-Behindertenrechtskonvention schon 2008 unterzeichnet hat? Welches Bild entsteht vor dem geistigen Auge der Lesenden? Diesen Fragen ging die Politik- und Medienanalytikerin Maria Pernegger (MediaAffairs) im Auftrag des österreichischen Bundeskanzleramts nach. Unterstützt wurde die Studie vom österreichischen Sozialministerium, der Volksanwaltschaft und der österreichischen Rundfunk und Telekom-Regulierungs-GmbH (RTR).

Ihre Studie umfasst ein ganzes Jahr im Zeitraum 2015/2016, genau den Zeitraum zwischen 1. Oktober 2015 und 30. September 2016. In die Medienbeobachtung wurden sechs verschiedene reichweitenstarke Printmedien und der Staatssender ORF mit drei Formaten sowie Facebook mit den Seiten der 50 wichtigsten Player (Menschen mit Behinderung und Medien) einbezogen. Allein in den sechs Printmedien wurden 598 Artikel über Menschen mit Behinderungen gefunden und analysiert.

Ein beherzter Griff in die Klischeekiste verhindert Inklusion“

Die Studienautorin zeigt deutlich, dass die österreichischen Massenmedien in Summe durch ihre Berichterstattung Vorurteile, die in der Gesellschaft über behinderte Menschen verbreitet sind, eher verstärken: „Ein beherzter Griff in die Klischeekiste verhindert Inklusion.“ Boulevardmedien wie die „Kronen Zeitung“, „Heute“ oder „Österreich“ haben in Österreich starke Verbreitung. Laut Maria Pernegger berichten Boulevardmedien ganz anders über Menschen mit Behinderung als etwa Qualitätszeitungen (bei der Studie „Der Standard“, „Kurier“ und die einflussreiche Länderzeitung „Kleine Zeitung“).

Randerscheinungen

Menschen mit Behinderung sind in den Massenmedien Österreichs generell eine Randerscheinung. Auch, wenn die Zahlen in den Printmedien auf den ersten Blick beachtlich erscheinen: Die „Kleine Zeitung“, die in den Bundesländern Steiermark und in Kärnten eine sehr bedeutende Tageszeitung ist, berichtete im Untersuchungszeitraum mit über 151 Artikeln am meisten über Menschen mit Behinderung. Dabei muss erwähnt werden, dass die Special Olympics Anfang 2017 im steirischen Schladming stattfanden . Die meiste Berichterstattung erfolgte also in diesem Rahmen und ist damit eher Lokalberichterstattung. Dahinter finden sich der „Kurier“ mit etwas über 49.000 Wörtern (114 Artikeln) und der „Standard“ mit etwa 48.000 Wörtern (105 Artikeln).

Arme Hascherl oder Superhelden

„Extreme dominieren“, erzählt Maria Pernegger. „Menschen mit Behinderungen werden vor allem entweder als arme Hascherl (hilfsbedürftige Opfer) oder als Superhelden dargestellt.“ Dazu passt, dass behinderte Menschen vor allem in den Kontexten Charity oder Sport in den Medien vorkommen. „Der Trend zur Darstellung von Menschen mit Behinderungen als Superhelden wird durch die Berichterstattung über die Paralympics noch verstärkt“, sagt Pernegger. Oft konzentriere sich die Berichterstattung auf eine Person. Der Unfall der ehemaligen Stabhochspringerin und nunmehr querschnittgelähmten Kira Grünberg sei als Beispiel genannt. Für den Zeitraum der Analyse von 1. Oktober 2015 bis 30. September 2016 sind drei dominante Themen festzustellen: Sportunfälle, die Paralympics in Rio und Charity. Diese drei Themen waren in rund 60 % der Fälle der Anlass der Berichterstattung.

Maria Pernegger hat festgestellt, dass es aber durchaus – in den Qualitätsmedien wie „Der Standard“ – Beispiele für klischeefreie Darstellungen von Menschen mit Behinderung gibt. Was zeigt, dass auch in der Hektik des medialen Betriebs eine positive und respektvolle Berichterstattung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention möglich ist.

Kaum Berichterstattung über Kultur, Wohnen und Arbeit

Andere, gesellschaftspolitisch relevante Themen über Menschen mit Behinderung in Kunst oder Kultur sowie die (wenig positive) Arbeitsmarktsituation behinderter Menschen werden vor allem in den reichweitenstarken Boulevardmedien nicht oder nur unzureichend behandelt. „Vor allem die Rechte behinderter Menschen (etwa auf Sozialversicherungsanspruch bei der Beschäftigung in Werkstätten oder faire Bezahlung am Arbeitsmarkt) werden häufig nicht entsprechend differenziert dargestellt“, stellte Pernegger fest. Themen wie Sachwalterschaft (Bestellung eines Vormunds) oder persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderung würden fast ausschließlich von Qualitätsmedien aufgegriffen werden. Für viele Menschen mit Behinderung seien diese Themen aber von enormer Relevanz, ebenso wie finanzielle Absicherung und der Bereich Wohnen. Ausgerechnet über diese Bereiche werde aber wenig berichtet.

Auch Artikel über Gewalt gegen bzw. Verwahrlosung von Menschen mit Behinderung in Pflegeheimen wurden im Untersuchungszeitraum selten gefunden, doch 2017 wurde dieses Thema nach einer Untersuchung der Volksanwaltschaft und einem bekannt gewordenen Pflegeskandal in Niederösterreich öfter aufgegriffen.

Selbstdarstellung versus Fremddarstellung

Pernegger hat auch die Selbstdarstellung von Menschen mit Behinderung auf Facebook versus die Berichterstattung über sie in Medien analysiert und zieht ein bezeichnendes Fazit: Es gäbe einen signifikanten Unterschied zwischen der „Außensicht“ einer nichtbehinderten Person auf Menschen mit Behinderung und der Sicht einer betroffenen Person. Während Außenstehende in ihren Postings häufig Mitleid schüren oder auch Bewunderung für Leistungen oder (Lebens-)Willen behinderter Personen mitklingen lassen, sähe die Selbstdarstellung von Menschen mit Behinderung auf Facebook in den untersuchten Fällen komplett anders aus. Bekannte Player wie die ehemalige Stabhochspringerin Kira Grünberg, die aufgrund eines Unfalls querschnittgelähmt ist (knapp 60.000 Follower auf Facebook) oder der bekannte Paralympics-Schwimmer und Moderator Andreas Onea würden sich nicht selbst als Opfer inszenieren, sondern eher ihre Leistungen und ihren persönlichen Lebensalltag ins Zentrum ihrer Social-Media-Aktivität stellen.

Licht ins Dunkel: Opferrolle dominant

Auch die Berichterstattung des österreichischen Staatssenders ORF hat Maria Pernegger in ihre Jahresstudie einbezogen. Explizit hat sie sich mit den drei ORF-TV-Magazinen „Bürgeranwalt“, „heute konkret“ und „heute leben“ auseinandergesetzt, die alle sehr gut abschnitten. Der ORF kann also klischeefreie und respektvolle Berichterstattung über Menschen mit Behinderung. Mit einer großen Ausnahme: die Charity-Kampagne „Licht ins Dunkel„. Pernegger bemerkt, dass zwar ab November und erst recht im Dezember ein großer Anstieg an Berichterstattung im ORF über Menschen mit Behinderung zu verzeichnen sei, der Rahmen dieser Berichterstattung allerdings sei problematisch. „Licht ins Dunkel präsentiert Menschen mit Behinderungen, vor allem Kinder, generell als arme Opfer, für die man spenden soll“, so Pernegger. Die Kampagne gäbe es schon seit rund 40 Jahren. Viele ÖsterreicherInnen seien damit aufgewachsen. Die Kampagne habe in Österreich ein gutes Image und sei für den ORF ein Quotenbringer.

Gender-Gap

Pernegger bestätigt damit, was BehindertenaktivistInnen in Österreich schon lange sagen: Licht ins Dunkel arbeitet mit Klischees und Vorurteilen. Das Werben von Spenden durch Mitleid steht im Vordergrund. „Die häufig gewählte Darstellungsform von Menschen mit Behinderung als BittstellerInnen widerspricht einer würdevollen Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen und lässt vorherrschende Barrieren in der Gesellschaft unkommentiert und unverändert“, so Pernegger. Noch dazu zeige sich ein deutlicher Gender-Gap. Frauen würden durch die Art der Inszenierung mehr als Männer als arm, bedürftig und als Opfer dargestellt. Das träfe noch viel häufiger auf Kinder – vor allem auf Mädchen – zu.

Immer noch sind Phrasen wie „an den Rollstuhl gefesselt“ in Österreichs Medien zu finden. Dabei sei Sprache wichtig, sie könne Barrieren auf- oder abbauen, meint Maria Pernegger. Auch wenn ihre Studie die Beobachtungen von AktivistInnen bestätigt, ist die systematische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Medien und Menschen mit Behinderungen“ in Österreich ein Novum. Maria Perneggers Studie ist insofern eine wichtige Pionierarbeit.

Bilder: MediaAffairs