Sinéad O’Connor, Britney Spears oder Nicholas Müller – psychische Beeinträchtigungen sind auch unter prominenten Musiker*innen vorhanden. Medien berichten auch mal in unangemessener Weise über sie – sei es aus Unkenntnis oder auf der Suche nach dem schnellen Klick – und tragen so zur allgemeinen Stigmatisierung bei. Lisa Stegner zeigt auf, wie Redaktionen diese Stolperfallen umgehen können.

Einige erinnern sich vielleicht noch an Sinéad O´Connors Welthit „Nothing Compares 2 U“. Mit dem Prince-Cover stürmte die Sängerin mit den raspelkurzen Haaren Anfang der 1990er Jahre die Charts. Für das dazugehörige Album „I Do Not Want What I Haven’t Got“ erhielt sie sogar einen Grammy (den sie allerdings nicht annahm). Und das Fachmagazin Rolling Stone zählte die Platte 2003 zu den „500 besten Alben aller Zeiten“.

Doch ihre musikalischen Errungenschaften wurden bereits damals immer wieder übertönt von der Berichterstattung über ihr von gesellschaftlichen Normen abweichendes Verhalten und ihre teils kontroversen Äußerungen – etwa in Bezug auf die katholische Kirche. Das trifft auch auf die aktuelle Berichterstattung über die irische Musikerin zu: „Nach dramatischem Video-Hilferuf – Sinéad O’Connor wieder im Krankenhaus“ (Bild.de) oder „Hilferuf auf Facebook – Sinead O’Connor droht mit Selbstmord“ (Stern.de) heißt es etwa auf den Online-Portalen von Redaktionen.

Hintergrund dieser emotional aufgeladenen Schlagzeilen sind die Social-Media-Aktivitäten von Sinéad O’Connor, die laut eigener Aussage von mehreren psychischen Erkrankungen betroffen ist. Doch auch wenn eine betroffene Musikerin auf ihrem Social-Media-Profil öffentlich darüber spricht, sollten Medien das in ihrer Berichterstattung aufgreifen? Anders als oben genannte Zeitungen und Zeitschriften machen es viele Medien nicht zum Gegenstand ihrer Berichterstattung. Die „Taz“ veröffentlichte zuletzt 2012 anlässlich eines anstehenden Konzerttermins in Berlin ein Interview mit Sinéad O’Connor. „Die Zeit“ berichtete letztmalig 2003 anlässlich der Veröffentlichung des Doppelalbums „She Who Dwells in the Secret Place of the Most High Will Abide Under the Shadow of the Almighty“ über die irische Sängerin. Die letzte Meldung auf „Spiegel Online“ stammt vom 16. Mai 2016. Darin heißt es, die Sängerin sei wohlbehalten von einer Radtour zurückgekehrt, nachdem sie tags zuvor vermisst gemeldet worden war.

Warum diese Medien im Gegensatz zu anderen nicht (mehr) berichten, kann mehrere Gründe haben. Ob es sich dabei um eine bewusste redaktionelle Entscheidung handelt, die beispielsweise auf Grundsätzen wie dem Pressekodex beruhen, kann nicht immer beantwortet werden. Laut Pressestelle der „Zeit“ gibt es beispielsweise hierzu im Verlag keine Richtlinie. Von „Taz“ und „Spiegel“ habe ich auf meine Anfrage keine Antwort erhalten. Bei den Medien, die solche öffentlichen Äußerungen oder Auftritte in der Öffentlichkeit als Thema aufgreifen, zeigen sich zum Teil deutliche Unterschiede in der Berichterstattung. Während einige Medienhäuser – wie beispielsweise Spiegel Online und Bild – in der jüngeren Vergangenheit dazu übergegangen sind, in ihrer Berichterstattung über Prominente mit psychischen Behinderungen zumindest Info-Kästen mit Hilfsangeboten in ihre Artikel zu integrieren, berichten andere völlig unreflektiert und tragen mit Formulierungen wie „Sinead O’Connor – Wie sich ein Star in die Irre treibt“ (Gala.de) weiter zur Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen bei. Häufig zeigt sich in diesen Artikeln auch ein völlig fehlendes Verständnis für die Zusammenhänge von bestimmten Verhaltensweisen mit zugrunde liegenden psychischen Beeinträchtigungen.

Das Problem der Übersetzung

Hieran hat sich in den letzten zehn Jahren leider nicht wirklich etwas geändert, wie ein Blick auf die Berichterstattung über die Pop-Sängerin Britney Spears zeigt, die 1999 mit der Single „Baby One More Time“ weltweit bekannt wurde und mit mehr als 100 Millionen verkauften Tonträgern eine der erfolgreichsten Persönlichkeiten im Musikgeschäft ist. Darüber hinaus wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Grammy (2005), dem Echo (2001) und einem eigenen Stern auf dem „Walk of Fame“ (2002).

Als deutschsprachige Medien 2007 damit begannen, über das ebenfalls auf eine psychische Beeinträchtigung zurückzuführende Verhalten der Pop-Musikerin zu berichten, konnten sie dabei auf neue Quellen zurückgreifen. Paparazzi hatten damals Video- und Foto-Material nicht nur – wie bis dahin üblich – an Medienhäuser verkauft, sondern erstmals in größerem Umfang auch selbst ins Internet eingestellt. Viele Medien beteiligten sich daraufhin an der Weiterverbreitung, indem sie die Inhalte ausschnittsweise oder neu zusammengeschnitten in ihren TV-Sendungen zeigten oder auf ihre Websites stellten, wo sie zum Teil heute noch abrufbar sind. In nach wie vor abrufbaren Artikeln aus dieser Zeit finden sich häufig stigmatisierende Formulierungen wie „Britney Spears und die Gummizelle“ (Welt.de) oder „Der Wahnsinn nimmt kein Ende: Mit ihren Haaren scheint Britney Spears auch ihren Verstand verloren zu haben“ (Spiegel Online). Viele dieser Artikel enthalten zudem übersetzte Zitate aus US-amerikanischen Boulevardmedien, die nicht sorgfältig nachrecherchiert sind.

Wie eine solche Arbeitsweise im Fall von Britney Spears sogar zu Falschmeldungen geführt hat, berichtete 2008 bereits die „Taz“. Demnach gab es beispielsweise immer wieder Falschmeldungen über den angeblichen Drogenkosum der Sängerin, obgleich sie in diesem Zeitraum alle gerichtlich angeordneten Tests bestanden hatte. Ein anderes Problem sind Unterschiede zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Justiz- und Gesundheitssystem, auf die selbst in aktuellen Artikeln über Britney Spears nicht eingegangen wird. So reicht es nicht, den englischen Begriff „conservatorship“ schlicht mit „Vormundschaft“ zu übersetzen, denn dieses Konzept existiert in Bezug auf Erwachsene im deutschsprachigen Raum nicht (mehr) und ist auch nicht mit dem deutschen Betreuungsrecht, der österreichischen Sachwalterschaft oder der schweizerischen Beistandschaft für Menschen mit psychischen Behinderungen vergleichbar.

Ein Interview ermöglicht ein Gespräch auf Augenhöhe

Es gibt aber auch positive Beispiele für eine Berichterstattung über Musiker*innen mit psychischen Behinderungen. So führte „Bento“ 2015 ein Interview mit dem früheren Jupiter-Jones-Sänger Nicholas Müller anlässlich der ersten Albumveröffentlichung seines Solo-Projektes „von Brücken“. 

Der deutschsprachigen Rockband Jupiter Jones gelang 2011 der Durchbruch mit dem Radio-Hit „Still“, für den sie im Jahr darauf mit dem wichtigsten deutschen Musikpreis ECHO ausgezeichnet wurde. Beim TV-Wettstreit „Bundesvision Song Contest“ belegte sie damit den sechsten Platz. 2014 gab die Band nach vorangegangener Tourabsage auf Facebook den Ausstieg ihres Sängers aufgrund einer Angststörung bekannt.

In dem Interview finden sich bespielsweise auch Schilderungen der Symptome und des eigenen sowie familiären Umgangs damit, zudem weitere Informationen über das Störungsbild und die Behandlungsmöglichkeiten und ein Direktlink zur Deutschen Angstselbsthilfe. Das Gespräch fand auch nicht während der Akutphase, sondern erst deutlich später statt. Nicht zuletzt ermöglicht die Darstellungsform einen offenen Dialog auf Augenhöhe, während Betroffene bei anderen Arten der medialen Berichterstattung häufig nicht selbst zu Wort kommen.

Tipps für Redaktionen:

Wenn ersichtlich ist, dass abweichendes Verhalten auf eine unter Umständen schwerwiegende psychische Beeinträchtigung zurückzuführen ist bzw. damit zusammenhängt, sollten Redaktionen zunächst überlegen, ob es tatsächlich notwendig ist, darüber zu berichten.

Der Deutsche Pressekodex gibt hierzu folgende Vorgaben:

  • Richtlinie 8.6 – Erkrankungen:
    „Körperliche und psychische Erkrankungen oder Schäden gehören zur Privatsphäre. In der Regel soll über sie nicht ohne Zustimmung des Betroffenen berichtet werden.“
  • Richtlinie 8.7 – Selbsttötung:
    Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.
  • Richtlinie 11.1 – Unangemessene Darstellung:
    „Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird.“
  • Ziffer 12 – Diskriminierungen:
    „Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.“

Weitere Hilfestellungen und Tipps hierzu bieten auch der „Medienguide Suizid“ der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und die Website „Fair Media“ der Initiative Aktionsbündnis Seelische Gesundheit.

Im Fall einer Berichterstattung sollten Redaktionen zudem folgende Dinge beachten:

  • Ordnen Sie das Verhalten bzw. die Aussagen der betroffenen Person ein. Geben Sie z.B. zusätzliche Informationen über das Störungsbild. Ziehen Sie statistische Daten hinzu. Nennen Sie z.B. die Anzahl der Betroffenen weltweit oder bezogen auf Ihre Region bzw. Ihr Land. Beschreiben Sie typische Symptome und nennen Sie Behandlungsmöglichkeiten.
  • Vermeiden Sie stigmatisierende Begriffe und vermeintlich witzige Wortspiele.
  • Denken Sie daran, dass auch Betroffene mitlesen: Geben Sie Hilfestellung. Führen Sie z.B. unmittelbar zugängliche telefonische und digitale Hilfsangebote auf.

Die vorgestellten Fälle zeigen, dass es in der jüngeren Vergangenheit zumindest in Teilen der Medienlandschaft positive Veränderungen in der Berichterstattung über Musiker*innen mit psychischen Beeinträchtigungen gegeben hat. Bis zu einer angemessenen medialen Darstellung von Betroffenen ist es allerdings noch ein weiter Weg. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang, wenn möglichst viele Verlagshäuser ihre redaktionellen Standards entweder anpassten oder entsprechende Standards für ihre Berichterstattung einführten.

 

Info-Kasten:

Die Telefonseelsorge ist unter der Rufnummer (0800) 111 0 111 sowie (0800) 111 0 222 oder 116 123 rund um die Uhr zu erreichen.  Beratung via Chat, Mail und vor Ort: http://www.telefonseelsorge.de/

Der Ärztliche Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen (ambulante Behandlung in dringenden medizinischen Fällen) ist telefonisch rund um die Uhr unter 116 117 erreichbar.

Rettungsdienst Meldung von lebensbedrohlichen Notfällen: 112 (rund um die Uhr)

Eine Online-Beratung für Kinder und Jugendliche bietet: https://www.nummergegenkummer.de/

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat ein Info-Telefon Depression eingerichtet. Erreichbar unter (0800) 3344533 (Mo., Di. und Do. 13-17 Uhr sowie Mi. und Fr., 8.30–12.30 Uhr)

Titelbild: By Thesupermat (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons