Im schummrigen Neonlicht posieren die britischen Paralympics-Sportler mit ihren Körpern, Prothesen, Rollstühlen. Der Bass hämmert, die Bilder rasen. Wie Helden im Kampf gegen das Böse hat der Privatsender Channel 4 die Athleten inszeniert, der Titel der Werbekampagne: Meet the Superhumans, Vorhang auf für die Übermenschen. Die vierzehnten Sommer-Paralympics, die Weltspiele des Behindertensports, haben 2012 Rekorde gebrochen. ARD und ZDF übertrugen fast siebzig Stunden von den Wettkämpfen, doppelt so lang wie bei den Spielen vier Jahre zuvor in Peking. Nur die Medien des Gastgebers haben dieses Programm gesteigert: Britische Fernsehsender und Zeitungen haben die Paralympics zu einem Spektakel stilisiert.
Die Sommerspiele erhalten traditionell eine stärkere Resonanz
Dieser Trend wird in Sotschi anlässlich der Winter-Paralympics, die zwischen dem 7. und 16. März stattfinden, eine Pause einlegen, denn die Sommerspiele erhalten traditionell eine stärkere Resonanz. Und trotzdem ist klar: Der Behindertensport hat sich im öffentlichen Bild rasant gewandelt. Nicht erst durch Channel 4 erinnert der paralympische Betrieb an die Unterhaltungsindustrie von Olympia. Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung wurden in London laut Thomas Hahn von der Süddeutschen Zeitung „zu einem Menschenideal erhoben“. Erstmals hatte es für die Paralympics einen Bieterstreit um die Fernsehrechte gegeben: Channel 4 überbot die BBC und sendete mehr als 150 Stunden. Der Sender wollte sich als sozialpolitisch vermarkten und Profit machen, beides war vor zwanzig Jahren undenkbar. „Doch von der herzlichen Atmosphäre ist wenig geblieben“, sagt Susan Caro, ehemalige Reporterin der BBC, die eine Diversity-Debatte in britischen Medien vorantreiben möchte. „Die Stimmung gegenüber Menschen mit Behinderung ist so zurückhaltend wie vor den Paralympics.“
Probleme wurden kaum beleuchtet
An wenigen Stellen haben Medien während der Sommer-Paralympics Inklusionsdefizite diskutiert: Neunzig Prozent der Briten haben keinen regelmäßigen Kontakt zu behinderten Menschen. Öffentliche Einrichtungen sind oft nicht barrierefrei. Nur fünfzig Prozent der Menschen mit einer körperlichen und zwölf Prozent der Menschen mit einer sogenannten „geistigen“ Behinderung haben einen Job. Und diejenigen, die einer Arbeit nachgehen, werden schlechter bezahlt als nicht behinderte Kollegen mit gleicher Qualifikation. Der Guardian schrieb von einer „virtuellen Apartheid“. Im Sport sind nur zwanzig Prozent der Menschen mit Behinderung aktiv.
In Sotschi ist die Lage gravierender. Ob die internationalen Medien darüber berichten werden? Und ob Russlands Regierung daran Interesse hat? 13 Millionen Menschen mit einer Behinderung genießen im Riesenreich bei weitem nicht den Standard wie Menschen in Deutschland oder Kanada, wie eine Studie von Human Rights Watch belegt. Regelmäßig geraten Einrichtungen und Heime in Brand, weil sie kaum gewartet werden.
Überhöhung kann auch Distanz erzeugen
„Medien sollten im Behindertensport stärker auf Nachhaltigkeit setzen“, sagt der Medienforscher Christoph Bertling von der Sporthochschule Köln, schließlich haben die meisten Menschen mit Behinderung kaum eine Chance, gesellschaftliche Teilhabe durch Sport zu erreichen. „Wie wirken diese Heldengeschichten auf Menschen in der Rehabilitation, die nach Unfällen versuchen, wieder ein gewöhnliches Leben aufzubauen?“
Die Inszenierung von Behindertensportlern zu Übermenschen könne auch Distanz erzeugen, nach dem Motto: Was die erreichen, schaffe ich nie. Nicht jeder behinderte Mensch macht doch automatisch auch Sport. Und nicht jeder behinderte Mensch erlebt seine Behinderung gleich, gerade wenn sie erst durch einen Unfall oder eine späte Krankheit auftritt.“
Vielfalt des Behindertensport ist selten zu erkennen
Die Wissenschaftler kamen zu der Schlussfolgerung, dass in Zeitungen gezielt Fotos gedruckt wurden auf denen statt Menschen mit Behinderung einfach nur Rollstühle abgebildet seien. Die Vielfalt innerhalb der paralympischen Sportszene ist auch nicht zu erkennen, wenn etwa in.Werbefilmen über die Paralympics des Organisationsteams von Sotschi vor allem männliche Rollstuhlfahrer gezeigt werden.
In einer Studie hat das Institut für Kommunikations- und Medienforschung die mediale Darstellung des Behindertensports in Deutschland untersucht. In einer Erfassung des Blickverhaltens stellten die Kölner Wissenschaftler fest, dass sich Leser und Zuschauer keineswegs von gezeigten Behinderungen abwenden würden. Das Forschungsinstitut Sport und Markt legte in einer repräsentativen Studie nach: 76 Prozent der Befragten sprechen den Paralympier eine Vorbildfunktion zu. Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, schlussfolgert: „Wirtschaft und Medien sollten das Potenzial an neuen Kunden und Lesern auch zwischen den Paralympics erkennen.“
Fachverbände müssen sich weiter öffnen
Immer wieder wird diskutiert, ob man Olympia oder Paralympics zusammenlegen könne. Logistisch scheint das unmöglich zu sein, aber in regionalen Meisterschaften oder in Nachwuchswettbewerben ist es das nicht. Auch im Antidopingkampf oder in Konzepten für schulische Unterstützung von Talenten ist eine Begegnung auf Augenhöhe noch lange nicht erreicht. Oftmals scheitern Partnerschaften an der fehlenden Bereitschaft von Fachverbänden, auch Medien haken selten nach. In Kanada, Skandinavien oder in den Niederlanden ist das in vielen Vereinen schon anders.
Der Deutsche Behindertensportverband wächst, zählt nun weit mehr als 600.000 Mitglieder. Der Verband hat seine Öffentlichkeitsarbeit professionalisiert. Das gilt auch für das Internationale Paralympische Komitee (IPC) mit Sitz in Bonn. Beide Verbände arbeiten mit Agenturen zusammen oder pflegen Programme mit sportlichen Botschaftern. Ebenso wichtig sind Workshops für Journalisten geworden. Vor dem Schulwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“ hat der DBS im Herbst 2013 Reporter nach Berlin eingeladen – es kam niemand. Die Kraft der Übermenschen von London war also von begrenzter Dauer.
Titelbild: Kampagnenbild vom Channel 4 „Meet the Superhumans“ (The Wade Brothers)
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