Ob Menschen mit Behinderung, mit Migrationsgeschichte oder homosexuelle Menschen – häufig fehlt ein wirklicher Austausch zwischen Medienschaffenden und Interviewten. Als Folge wird nicht auf Augenhöhe, sondern klischeehaft berichtet. Die Veranstaltungsreihe „Die Salonfähigen“ der Neue deutsche Medienmacher, Lesben- und Schwulenverband und Sozialhelden lädt Journalist*innen zur Diskussion ein. Ein Bericht über den ersten Salonabend von Christine Stöckel.

Ein paar Stühle werden noch verrückt. Die Mikrofone getestet. Langsam füllt sich das taz-Café an der Rudi-Dutschke-Straße mit Gästen. Getränke werden bestellt. Die ersten spitzen die Stifte und holen den Notizblock raus. Nur noch wenige Minuten bis die Veranstaltungsreihe „Die Salonfähigen“ beginnt – zum Auftakt wird heute über klischeehafte Beschreibung von Menschen mit Behinderungen in den Medien diskutiert.

Lilian Masuhr von Leidmedien macht gleich mit ihrer Begrüßung auf die zwei häufigsten Fehler bei der Darstellung von Menschen mit Behinderungen aufmerksam: Reduzierung und Heroisierung. „Judyta Smykowski moderiert die Veranstaltung heute Abend, und das trotz ihrer Behinderung“, erklärt Masuhr bei der Vorstellung ihrer Kollegin. „Tapfer hat sie mit ihrem Rollstuhl den Weg hierher ins taz-Café gemeistert. Ich könnte jetzt auch noch erklären, was sie studiert hat oder was sie bei den Sozialhelden macht, aber so viel Zeit haben wir nicht, das machen wir dann beim nächsten Mal“.

Wenn die Körpergröße keine Rolle mehr spielt

Journalist*innen schreiben oft auf diese Weise über Menschen mit Behinderungen. Nicht unbedingt aus böser Absicht, aber sie tun es eben. Menschen „leiden“ in Zeitungsartikeln, in Radiosendungen und TV-Beträgen an ihrer Behinderung, statt sie einfach zu haben. Sie erreichen Ziele „trotz“ ihrer Behinderung. Sie sind „tapfer“ und „motiviert“. Menschen mit Behinderung bestehen aber nicht allein aus ihrer Einschränkung, man kann über viele Eigenschaften berichten, erklären Masuhr und Smykowski. Und holen ihren Gast für die heutige Diskussion auf die Bühne: Ninia La Grande.

Die Poetryslammerin, Autorin und Podcasterin La Grande liest aus ihrem Buch „…und ganz, ganz viele Doofe!“ vor. In dem geht es um ihre Größe, aber auch darum, dass sie eine schöne Handschrift hat, früher Klassensprecherin war und wie Ärzt*innen, Lehrer*innen und Chef*innen in der Vergangenheit oft falsch damit lagen, was La Grande alles erreichen kann. Mittlerweile, erklärt La Grande, berichten Medien immer seltener über ihre Behinderung. Das habe einige Zeit gedauert, aber sie sei mit ihren Themen von Feminismus, über Mutterschaft bis hin Mode nun so präsent, dass ihre Größe kaum noch eine Rolle spiele.

„Und im alltäglichen Leben, was können Menschen im Umgang mit dir besser machen?“, fragt Smykowski ihren Gast. Wenn sich jemand beim Bäcker vordrängelt, weil er sie für ein Kind halte – dann nerve das, erklärt La Grande. Oder wenn ihr einfach jemand ohne Erlaubnis den Koffer abnehme und weitertrage. La Grande wird nicht gerne unterschätzt und macht unhöfliche Leute mit einem schnellen Spruch oder auch einer längeren Antwort auf ihr Verhalten aufmerksam. „Fehler zu machen ist okay“, sagt La Grande „solange man sich auch auf Kritik einlässt, dann offen ist und auf Augenhöhe nachfragt.“

2015 startete La Grande die Sendung „Ninias Fashion Mag“ bei RTL. „Wie kam es zur Moderation der Show?“, fragt Masuhr. „Die Produzentin hat mein Gesicht in der Kartei meiner Künstleragentur gesehen und gedacht: Die sieht aus, als ob sie sich mit Mode auskennt“, erklärt La Grande. Bald darauf habe man zusammen die erste Sendung gedreht. Sie moderierte die Sendung auf einer Kiste stehend. „Aber die Kiste und meine Kleinwüchsigkeit wurden nicht thematisiert, es ging um Mode“, erklärt La Grande. Dafür wurde über andere Zuschreibungen gesprochen, die sie an der Modewelt stören würden. Wörter wie „weiblich“ (was bedeutet das?) oder „Kurven kaschieren“ (wieso?) zum Beispiel.

Mehr Vorbilder mit Behinderung

„Moderatoren mit Behinderung moderieren“, erklärt Masuhr, „oft Sendungen über Inklusion oder Behinderungen. Hast du einen Rat wie man es anders hinbekommt?“ Man müsse viel nerven und Ellenbogen zeigen, erklärt La Grande. Aber ansonsten ist es wie überall: Praktika machen und Netzwerken seien wichtig. Vielleicht müsse man seinen Sonderstatus auch erst ausnutzen, um moderieren zu können. Wenn man gut sei, kämen die Leute auch mit anderen Jobs auf einen zu. Das sei gut, denn es müssen mehr Menschen mit Behinderung in die Medien. „Die Menschen brauchen Vorbilder“, sagt LaGrande. „Ich selbst hatte damals Christina Aguilera und Antonia Rados als Rollmodels, aber niemanden, der so war wie ich.“

„Raul Krauthausen sagt, Behinderung sei mittlerweile sein Beruf. Ist das bei dir auch so?“, fragt Smykowski. „Nein. Ich mache keinen Job mehr, wenn ich merke, dass ich wegen meiner Kleinwüchsigkeit engagiert werde“, erklärt LaGrande, „Ich stehe nicht mehr auf der Bühne, damit sich irgendwer damit rühmen kann. Moderieren und schreiben ist mein Beruf.“ Für den „Stern“ etwa schreibe sie politische Kommentare. Und sie habe mehrere feministische und kulturelle Podcasts. La Grande ist auch in der #Metoo-Debatte um sexualisierte Gewalt aktiv. „Findest du, dass dort zu wenig über Frauen mit Behinderungen gesprochen wird?“, fragen die Moderatorinnen. „Ich bin erstmal froh, dass die Debatte überhaupt stattfindet“, erklärt La Grande. „Aber es ist tatsächlich schwierig immer alle mitzudenken.“ Sie selbst versuche aber, immer auch andere Felder mit einzubeziehen

Bilder zeigen Gemeinsamkeiten

Nach einer kurzen Pause geht es auf der Bühne mit Bildern weiter. „Welche Behinderung wird am häufigsten in den Medien gezeigt?“, fragen die Leidmedien-Moderatorinnen. Nach etwas Zögern sagt eine Frau im Publikum: „Rollstühle.“ „Stimmt, wobei Rollstühle natürlich keine Behinderung sind“, erklärt Masuhr und zeigt einen „Welt“-Artikel zum Bundesteilhabegesetz. „Tatsächlich sieht man aber auch viele leere Rollstühle auf Bildern. Aber wo sind die Menschen?“

Beim Thema Inklusion in der Schule werden oft Kinder im Rollstuhl gezeigt. Dabei stehe der Rollstuhl meist auf den Medienbildern im Fokus, ganz so als sei er ein Problem, eine Barriere. „Stattdessen könnte man natürlich auch Kinder zeigen, die gemeinsam lernen und rechnen“, erklären die Leidmedien. Die Leidmedien etwa haben eine Alternative zum Bilderangebot von gängigen Fotoagenturen ins Leben gerufen, und zwar die Fotodatenbank „Gesellschaftsbilder“. Hier gibt es Fotos auf Augenhöhe und mit vielen Perspektivwechseln, die Menschen mit ganz verschiedenen Behinderungen und auch Menschen ohne Behinderungen zusammen zeigen. „Natürlich ist zudem wichtig, wer fotografiert“, erklären Masuhr und Smykowski. Fotograf*innen mit Behinderungen sind immer noch selten.

„Im Alltag treffe ich nicht so auf Menschen mit Behinderungen. Deshalb müssen die Medien hier etwas leisten und ein differenziertes Bild von Menschen mit Behinderungen liefern“, erklärt eine Frau im Publikum. Gegen Ende der Veranstaltung gibt es deshalb noch eine Checkliste mit Fragen, die wichtig sind für differenzierten Journalismus über und mit Menschen mit Behinderungen: Wie möchte mein Protagonist genannt werden? Stelle ich ihn oder sie in all ihrer Vielfalt dar? Oder geht es „nur“ um die Behinderung? Lasse ich ihn oder sie zu Wort kommen?

Antworten auf diese vielen Fragen zu finden ist wichtig, damit Reportagen, Interviews und Berichte weder Mitleidsgeschichte noch „Inspirationporn“ werden. Auch das Publikum äußert noch ein paar Themen, über das es gerne öfter in den Medien lesen würde: über Liebe und Beziehungen zum Beispiel. Barrierefreie Architektur und universelles Produktdesign. Über Altersvorsorge. Außerdem sollten auch Kinder beim Thema „Inklusion und schulisches Lernen“ zu Wort kommen.

Dann sind die zwei Stunden Diskussion im im taz-Café auch schon um. Die Gebärdensprachendolmetscherinnen Carina Jakob und Angelina Sequeira Gerardo übersetzen Masuhrs und Smykowskis Schlussworte – doch die Diskussion geht in den nächsten Wochen weiter: Parallel zur Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen fällt auch die Berichterstattung über andere sogenannte Minderheiten oft klischeehaft aus. Menschen mit Migrationsgeschichte werden aufs Kopftuch und die LGBT-Community auf ihre Sexualität reduziert. „Die Salonfähigen“ werden darüber, gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverein, den Neuen Deutschen Medienmachern und den Sozialhelden, am 12. April im taz-Café weiterdiskutieren.

Mehr Fotos von der Veranstaltung findet ihr hier.

Fotos: Andi Weiland, Gesellschaftsbilder.de