Behinderung macht depressiv und passiv – und wenn es keine Wunderheilung gibt, hat das Leben keinen Sinn. Im Fernsehen werden viele solcher Klischees immer noch rauf und runter gespielt. Laura Gehlhaar über stereotype TV-Dramaturgien der Behinderung, und warum sie so fatal sein können.
Traurig und frustriert sitzt er in einem dunklen Zimmer und schaut aus dem Fenster. Sehnsüchtig sieht er einem Jogger hinterher, melancholische Musik ertönt im Hintergrund. Am Tag seines Unfalls brachte ihm sein Arzt die tragische Mitteilung: „Sie werden für immer an den Rollstuhl gefesselt sein“. ,Scheiße‘, denken die Zuschauer*innen. ,Wer will schon für den Rest seines Lebens in einem dunklen Zimmer im Rollstuhl sitzen, während im Hintergrund traurige Filmmusik läuft? Und auch das morgendliche Joggen müsste für immer aufgegeben werden! Nein, das könnte ich nicht.‘
Im weiteren Verlauf des TV-Dramas wird diese Angst noch durch Szenen genährt, wie dem Hauptdarsteller Gläser und Teller runterfallen, weil er seiner Frau beim Kochen helfen möchte. Die Scherben kann er natürlich auch nicht selbst aufheben. ,Schon doof, wenn man im Rollstuhl sitzt.‘
Betrogen, verlassen, geheilt
Kurz bevor die Dramaturgiekurve ihren Höhepunkt erreicht, macht sich noch der beste Freund des gespielten Rollstuhlfahrers an dessen Frau ran. Das ausschlaggebende Argument des besten Freundes: Wie will er dir das geben, was eine Frau braucht? Ihr werdet doch niemals Kinder haben können! ,Ach ja!‘, denken die Zuschauer*innen. ,Sex geht ja jetzt auch nicht mehr!‘ Und weil der an den Rollstuhl ,gefesselte’ Hauptdarsteller natürlich nur das Beste für seine Frau will, gibt er sie logischerweise hochdramatisch und selbstbemitleidend an den besten Freund frei. Jetzt geht es natürlich nicht nur um die tiefgründige Männerfreundschaft. Die schicksalhafte Wendung wird mit einer ganz zufälligen ,Heilung‘ des rollstuhlfahrenden Hauptdarstellers inszeniert. Er kann wieder gehen. Die Frau kommt zurück. Das Leben kann weitergehen. Problem gelöst. Der Zuschauer kann aufatmen.
Dieses fiktive Filmbeispiel wird dem RTL- oder der ZDF-Zuschauer*in regelmäßig als Parade-Bonbon zum Lutschen gegeben, wenn das Thema Behinderung mal wieder für großes Kino herhalten muss. Ob nun nicht behinderte Schauspieler*innen Behinderte spielen oder behinderte Schauspieler*innen Behinderte spielen, alle müssen in Film und Serie viele Klischees bedienen. Der Nichtbehinderte, der mit all seiner Schauspielkunst einen Behinderten versucht zu spielen, sieht sich dann oft mit dem knallharten Schicksal konfrontiert, für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt zu sein. Dem/ der Zuschauer*in wird eine große Katastrophe serviert mit viel Leid und wenig positiven Aussichten (wie zum Beispiel in dem Spielfilm ,Die Zeit, die man Leben nennt‘, erschienen 2008).
Auf Klischees reduziert
Eine Depression und traurige Stimmung findet in solchen Situationen sicherlich ihren berechtigten Platz. Doch finde ich es sehr traurig, einfältig und fernab von jeglicher Lebensrealität eines Menschen mit Behinderung, wenn Film und Fernsehen die Darstellung von Behinderung oder Krankheit auf Klischees, wie das Opfer oder den Superhelden, reduzieren. Der/ die Zuschauer*in wird nach dieser übertriebenen Darstellung alleine gelassen. Was bleibt, ist ein schräges und oberflächliches Bild aus dem 90 minütigen Filmleben einer behinderten Person.
In der bekanntesten Seifenoper Deutschlands Gute Zeiten, schlechte Zeiten ,landet‘ im Durchschnitt alle vier Jahre ein männlicher Schauspieler durch irgendwelche Unfälle im Rollstuhl. Blass geschminkt und mit hängender Visage wird dann der große Frust gespielt. Nach absehbarer Zeit erfolgt dann endlich die Wunderheilung. Der Leihrollstuhl kann zurückgegeben werden. Der Serienalltag kann weitergehen. Einen kleinen Schritt weiter hat sich damals die Serie Marienhof gewagt. Dort wurde eine Rolle mit einem Schauspieler besetzt, der mit Osteogenesis Imperfecta (im Volksmund die Glasknochenkrankheit) lebt und deshalb auf den Rollstuhl angewiesen ist. Doch während seine laufenden Teamkollegen jegliche Liebes- und Beziehungsdramen hoch und runter spielen durften, wurde die Rolle des Rollstuhlfahrers schnell entsexualisiert, so dass er lediglich nur noch als ,bester Freund‘ seinen attraktiven Kolleginnen dienen durfte.
Eine Herausforderung für jene*n Drehbuchautoren, der es sich zur Aufgabe macht, eine Behinderung mit einem Menschen zu thematisieren. Er sollte seinen Scheinwerfer nicht nur auf die große Katastrophe ,Behinderung‘ richten, sondern auch auf schöne und stinknormale Alltagssituationen. Katastrophen sind gut, keine Frage. Meine oft filmreifen Dramen haben allerdings zu 98% nichts mit meiner Behinderung zu tun. Sie ist ein ganz selbstverständlicher Teil meines Lebens. Und so paradox es sich anhört, es sollte genau diese Selbstverständlichkeit einmal im Mittelpunkt stehen.
Titelbild: Max Wohlers / www.jugendfotos.de “Kinokartenstand”, CC-Lizenz (by-nc-nd)