Til Schweiger hat einen neuen Film über den Rapper Cro gemacht. In “Unsere Zeit ist jetzt” ist eine der Hauptfiguren “nur zufällig Autistin”, schreibt unsere Autorin Marlies Hübner in ihrer Filmkritik. Die Presse lässt sie trotzdem an ihrer Behinderung “leiden”.
Als Autistin zuckt man unwillkürlich zusammen, wenn man erfährt, dass ein Film erscheint, in dem eine Figur autistisch ist, so war es auch, als ich von dem Film “Unsere Zeit ist jetzt” hörte. Denn selten werden Autist*innen so dargestellt, dass es der Realität entspricht. In den allermeisten Fällen sind sie unsympathisch, unattraktiv, auf Hilfe angewiesen und männlich. Mit den anderen Charakteren findet üblicherweise keine Interaktion auf Augenhöhe statt, dafür werden sämtliche nur denkbaren Defizite der autistischen Filmfigur auf epische Breite ausgerollt.
Autismus bedeutet aber viel mehr als Defizite zu haben; vor allem ist es ein sehr breites Spektrum voller verschiedener Ausprägungen und Auffälligkeiten. Und hinter der Diagnose Autismus verbergen sich fühlende, denkende Menschen, keine wandelnden IDC-Codes [“International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“, ein Klassifizierungssystem der Weltgesundheitsorganisation, Anmerkung der Redaktion], wie es von Seiten der deutschsprachigen Medienlandschaft impliziert wird.
Auf Spielfilmlänge gedehnte Sketch-Show
Die Story des Films ist simpel: Drei Anfang Zwanziger wollen aus unterschiedlicher Motivation heraus einen Film über den Rapper Cro machen. Der introvertierte Ludwig möchte seine Geschichte rund um Freundschaft und Cros Ursprung animieren, die autistische Vanessa setzt mehr auf eine Dokumentation, und der Macho David weiß auch nicht so recht, was er eigentlich will. Hauptsache dabei sein. Cro findet alle Ideen irgendwie cool, alle dürfen zeigen, was sie können.
Alles in allem wirkt “Unsere Zeit ist jetzt” wie eine auf Spielfilmlänge gedehnte Sketch-Show – nichts, was im Gedächtnis bleibt oder zum Nachdenken anregt. Produktionstechnisch hingegen spielt der Til Schweiger-Film, wie von ihm gewohnt, auf Hollywood-Niveau. Sowohl Kameraführung als auch Schnitt und Kulissen sind eines Kinofilms würdig. Leider gilt das nicht für Til Schweigers Gastauftritt, der sich an Selbstironie versucht, daran aber scheitert. Dass Cro unter seiner Maske charismatischer rüberkommt als Til Schweiger, ist alles, was man wissen muss. Ein sehr hochwertig produzierter Film für Fans von Cro, mehr aber auch nicht.
Die Ableismus-Flatrate
Gleich zu Anfang leistet sich der Film Unmögliches: Macho David täuscht auf einer Party vor, blind zu sein, um Frauen an die Brüste zu greifen. Die finden das natürlich okay, weil er ja blind ist, der Arme. Da muss man schließlich Mitleid haben. Til Schweiger, der den alternden Cro in Davids ständig dem Wandel unterworfenen Drehbuch darstellt, benutzt im Laufe des Films das Wort “Spast” in einer Häufigkeit, die selbst Bushido in den Schatten stellt.
Sexismus ist ebenfalls keine Seltenheit, treibt als Stilmittel die Handlung voran, und so recht weiß man auch nicht, warum sich Vanessa ausgerechnet für David interessiert, der einen Frauenverschleiß hat, bei dem man verständlicherweise gar keine Zeit mehr findet, auch noch ein Drehbuch für Cro zu schreiben. Da fällt es kaum noch auf, dass ständig vom “Asperger” die Rede ist, eine veraltete Bezeichnung für einen Teilbereich des Autismusspektrums, der von Autist*innen und Fachärzt*innen kaum noch genutzt wird.
Normalzustand Autismus
Doch eines überrascht positiv: Vanessa ist zwar autistisch, doch ist das einfach ein Teil ihrer Persönlichkeit und nicht der Aufhänger des Films. So, wie Ludwig etwas schüchtern und unbeholfen ist und David ein Macho, aus dem der Tiefgang im Laufe des Films erstmal hervorgeprügelt werden muss, ist auch der Autismus von Vanessa einfach eine ihrer Eigenschaften – nicht ein sogenannter “Plot Device”, ein Mittel, um eine Handlung künstlich voranzubringen. Die Darstellung ist natürlich klischeehaft und überspitzt, nicht alles ist korrekt und haltbar. Und doch entbehrt sie nicht einer gewissen Realität.
Autistische Frauen sind massiv unterdiagnostiziert und finden im öffentlichen Leben kaum statt. Aber es gibt sie, sie sind da und sie leben normale Leben, studieren, haben Jobs oder manchmal auch nicht, sind auf Betreuung oder Pflege angewiesen oder leben ohne Hilfe, verlieben sich, haben Kinder, sind überzeugte Singles – man findet autistische Frauen in jedweder Lebensrealität. Genau das stellt der Film mit der Figur der Vanessa dar: Eine selbstständige, unabhängige Frau, die zufällig Autistin ist und mit den üblichen Barrieren einer autistischen Frau in einer neurotypischen Welt konfrontiert wird. Und das ist wichtig. Denn wenn Autist*innen ganz selbstverständlich in Kinofilmen vorkommen, ohne diese zwanghaft defizitäre Fixierung auf ihren Autismus, haben wir ein Stück Normalität erreicht.
In den Medien: sehr viel Leid
Alles andere als normal ist allerdings das, was man in der Presse liest. Da ist Vanessa mal zwangs-, mal angsterkrankt (Zeit Online), Autismus ist ihr großes Defizit, worüber sich mit viel Halbwissen ausgelassen wird. Immer aber leidet sie, ab und zu ist sie gleich Patientin (Cineman), manchmal sogar zu allem Übel (Welt). Interessant nur, dass im Film das Wort “leiden” kein einziges Mal gesagt wurde und Vanessa auch sonst nicht besonders auf ihre Defizite fixiert war. Warum auch, dazu besteht nicht der geringste Anlass.
Doch Journalist*innen scheinen noch immer zu glauben, dass jedwede Art von Behinderung der direkte Weg in ein Leben voller Tragik und Leid zu sein scheint – eine Sichtweise, die Leser*innen natürlich übernehmen und die auf lange Sicht für Menschen mit Behinderung massiv hemmend für die Inklusion ist. “Unsere Zeit ist jetzt” ist kein Film, den man gesehen haben muss. Und doch macht ihn die ungezwungene, lebensnahe Darstellung der Autistin Vanessa zu etwas Besonderem.