Was die Liebe aushält – Filmkritik zu „Die Entdeckung der Unendlichkeit“

Filmplakat zu "Die Entdeckung der Unendlichkeit" (Jane und Stephen Hawking liegen nebeneinander auf dem Boden und schauen in den Himmel. Der Hintergrund ist hellblau.
Screenshot: http://www.the-theory-of-everything-film.de/

Der Kinofilm “Die Entdeckung der Unendlichkeit” von James Marsh zeigt die Liebesgeschichte von Jane und Stephen Hawking. Judyta Smykowski hat ihn gesehen und Rezensionen der deutschen und US-amerikanischen Presse zusammengefasst.

Nein, dieser Film handelt nicht unbedingt von den weltbewegenden Entdeckungen des britischen Physikers Stephen Hawking. Es ist auch kein rührseliger Film über seine Krankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose), vielleicht ein bisschen. “Die Entdeckung der Unendlichkeit” basiert auf dem autobiographischem Buch “Die Liebe hat elf Dimensionen” von der Ehefrau Jane Hawking. Deshalb geht es im Film auch vorranging um die Liebe Janes zu ihrem Mann, die auch nach der ALS-Diagnose ungebrochen ist. Außerdem um das Familienleben der Hawkings. Ein Familienleben, das Jane (Felicity Jones) irgendwie versucht aufrechtzuerhalten und das, ja jetzt kommt der Ausdruck, den man bei Leidmedien.de sonst nicht liest, trotz der fortschreitenden Krankheit ihres Mannes.

Zunächst versucht Jane die Familienangelegenheiten alleine zu stemmen, mit ihrem Mann und den zwei, später drei Kindern. Urlaube und Familienfeiern werden von Jane organisiert, vielleicht weil sie für sich selbst den Anschein einer ganz normalen Familie aufrecht erhalten möchte. Dabei entstehen Bilder, die schamlos zeigen, wie schwer es ist, das heile Bild aufrecht zu erhalten. Von ihrem Mann wird sie nicht gebremst. Später bietet sich der alleinstehende Kirchenmusiker Jonathan an, der Familie zu helfen. Jane verliebt sich in ihn. Die Ehe endet nach 25 Jahren, da Stephen sich ebenfalls in eine andere Frau, seine Therapeutin verliebt. Im Film wird suggeriert, dass Stephen derjenige hätte sein sollen, der seiner Frau die Grenzen ihrer Kräfte aufzeigt, dass er durchgreift und eine Pflegekraft für sich einfordern müsste. Doch das alles muss seine Frau entscheiden und durchsetzen. 

Stephen Hawking sah den Film und lobte den Hauptdarsteller Eddie Redmayne. Es sei so gewesen, als habe er sich selbst zugeschaut, schrieb Hawking. Allerdings soll er laut Newsweek die mangelnden Physik-Inhalte im Film bemängelt haben. Diese kommen tatsächlich zu kurz. Im ersten Drittel des Filmes geht es noch um die Forschung Hawkings, während im weiteren Verlauf beinahe nur noch die sich verschlimmernde Krankheit wie ein bleiender Schleier über der Handlung liegt.

Reaktionen der deutschen Medien: das Leiden

Der “medizinische Blick” auf die Person Hawking zeigt sich auch in den Reaktionen der deutschen Medien auf den Film. Paul Janositz schreibt in seiner Rezension im Tagesspiegel: “Hawkings derzeitiger körperlicher Zustand ist wegen seiner medialen Präsenz wohlbekannt – schmächtig, schief im Rollstuhl sitzend, den bebrillten Kopf schräg ans Polster gelehnt, das Gesicht zur Grimasse verzerrt.” Ja, der Gesichtsausdruck mag einer Grimasse ähneln, aber es handelt sich hier nicht um einen Scherz Hawkings. Für seinen Gesichtsausdruck kann nur seine Krankheit etwas. 

Bei der Welt heißt es bereits im Teaser zum Artikel: “Er mag vielleicht im Rollstuhl sitzen, ein Mann bleibt er trotzdem”. Hier wird das Vorurteil aufgegriffen, dass Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, nicht in erster Linie mit ihrem Geschlecht identifiziert werden, sondern als Neutrum angesehen werden. Anstatt mit diesem Stereotyp aufzuräumen, wird es unkommentiert aufgenommen. Thema des Artikels sind die Frauen Hawkings, einige Skandälchen, die in der britischen Regenbogenpresse zu lesen waren über Besuche in Stripclubs. Und dann doch noch ein inhaltlicher Schlenker auf die Schauspieler des Films und ihre Begegnung mit Hawking. Eigentlich ganz nett, ganz normal, auch mal etwas über die Privatperson Stephen Hawking zu erfahren – nur warum dieser Teaser?

Spannende Hintergrundinfos in den US-Medien

Schaut man in die US-Medien, ist die Tonalität angenehm entspannter. Roger Highfield erzählt auf newsweek.com die lange Reise, die der Hauptdarsteller Eddie Redmayne hinter sich hat, bevor die Dreharbeiten begannen. Er gibt Hintergrundinformationen und interessante Details wider. Zum Beispiel, dass die Aufnahmen des Sprachcomputers in der englischsprachigen Version des Films von dem Originalgerät Hawkings stammen. Im Artikel wird beschrieben, dass sich Eddie Redmayne mit anderen ALS-Patienten traf, mit Hawking selbst und auch die physikalischen Themen verstehen wollte, über die Hawking forscht.

Einen weiteren interessanten Artikel liefert das amerikanische Portal vulture.com, dass den Drehbuchautor Anthony McCarten nach der schwierigsten Szene, die er für diesen Film geschrieben hat, fragt. McCarten berichtet von der Sequenz, in der sich die Eheleute Hawking trennen. Er beschreibt die Ebenbürtigkeit, die er Stephen und Jane verleihen wollte, auch wenn Stephen kaum Mimik und keine Emotionen in der Stimme zeigen kann. Er wollte nicht, dass die gesunde Jane dies als Waffe gegen ihn verwendet.

Ein wenig versöhnlicher mit der deutschen, versteiften Sicht auf die Dinge stimmt einen Cornelia Geißler in der Berliner Zeitung. Sie schreibt: “Das Biopic ‘Die Entdeckung der Unendlichkeit’ erzählt nicht vom Mythos Stephen Hawking, sondern vom Leben mit seiner Frau. Während er also in der öffentlichen Wahrnehmung der geniale Wissenschaftler im lädierten Körper ist, stellt der Film ihn als Mann dar: er lässt über die körperlichen Gebrechen hinwegsehen.”

Hinwegsehen kann man rein äußerlich nicht über die Krankheit, den Rollstuhl und den Sprachcomputer. Doch “Die Entdeckung der Unendlichkeit” lässt uns ein wenig in die Persönlichkeit von Stephen Hawking und noch mehr in die seiner Frau blicken. Vor allem aber lässt der Film den Zuschauer an die Liebe glauben.

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