Ins Fernsehen zu kommen reizt viele – aber auch zu jedem Preis? Michel Arriens war 2012 in der Dokusoap „Die grosse Welt der kleinen Menschen“ auf Sat.1 zu sehen. Wie er die Dreharbeiten fand, welche Folgeangebote er als kleinwüchsiger Mann bekam, und was er sich von der Darstellung in den Medien für die Zukunft wünscht, hier in seinem Kommentar.

 

Ich kam gerade mit dem Auto bei meiner damaligen Freundin in Itzehoe an, als mein Handy klingelte und mir eine E-Mail einer Produktionsfirma aus Berlin anzeigte.

Im Rahmen unserer Recherche für eine neue TV-Dokumentationsreihe, in der wir kleinwüchsige Menschen portraitieren möchten, sind wir auf Sie aufmerksam geworden.

„Klingt doch ganz gut. Fürs Fernsehen vor der Kamera zu stehen ist bestimmt total spannend. Außerdem habe ich ja auch ein echt spannendes Leben!“, dachte ich mir und rief die Dame gleich an. Einige Minuten später hatte ich dann das Konzept der Sendung im Posteingang. Die kleine Veränderung der Sendungsgattung von „Dokumentation“ zu „Doku-Soap“ übersah ich. Viele Tage und unzählige E-Mails später kam dann die erfreuliche Nachricht, dass ein Produktions-Team zum Kamera-Casting nach Bremerhaven kommen würde. 

Wir hatten viel Spaß, alle erzählten aus ihrem Leben, ich von meiner Freundin und meiner Familie, sie filmten, und alle waren glücklich. Am Abend wurde ich vom Produzenten der Sendung gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, das Format zu co-moderieren. „Geile Scheiße!“, dachte ich mir. „Was für eine große Aufgabe und Ehre!“ Die Kamera fing dann noch einige Testmoderationen von mir ein und einige Wochen später war klar, dass ich Protagonist UND Co-Moderator der Sendung war.

Pärchendinge und ganz viel Kitsch

Die Produktion fand in den darauffolgenden Monaten an vielen verschiedenen Orten statt. Alle Produktionsteams waren sehr nett und mit der Zeit wurden auch meine Freundin und ich locker. Wir trauten uns von Drehtag zu Drehtag mehr und mehr in „unsere Rollen“ zu schlüpfen, denn schnell wurde uns klar, dass vieles gestellt sein würde. Den roten Faden sollte unser fiktives Zusammenziehen bilden. Andere schon gefilmte Szenen, z.B. aus meinem Uni-Alltag, fielen dadurch raus. Das fand ich sehr schade, weil ich neben meiner Beziehung natürlich noch andere spannende Dinge erlebte.

Aber man freut sich ja überhaupt ins Fernsehen zu kommen…Wir sollten uns oft küssen, an den Händen fassen, Pärchendinge tun oder wie es eine Redakteurin nannte: „Kuschimuschi machen“. Den Vogel schoss aber wohl eine Szene in einem romantisch hergerichteten Café bei Kaffee & Kuchen besonders ab. Als uns der Kellner den Kuchen an den übertrieben kitschig dekorierten Tisch brachte, war ein großes Herz aus Schokolade auf den Teller meiner Freundin gemalt. Ich hatte das angeblich so in der Küche bestellt und meine Freundin musste sich darüber auch noch freuen.

Moderation auf Augenhöhe

Als die Sendungsinhalte produziert waren, ging es für mich nach Berlin zum Moderationsdreh. Ich war schon ganz aufgeregt, die Fernsehmoderatorin Ulla Kock am Brink kennenzulernen. Sie räumte gleich zu Beginn der Dreharbeiten die unterschiedlich großen Buchsbäume um, die eigentlich unseren Größenunterschied verdeutlichen sollten und wir vergrößerten von Moderation zu Moderation die Entfernung zueinander, sodass ich nicht mehr zu ihr hochschauen musste und wir schnell auf Augenhöhe moderieren konnten.

Screenshot von einer Moderationssituation von Michel Arriens und Ulla Kock am Brink. Beide sitzen nebeneinander auf einem Gemäuer und moderieren.

Quelle: Sat1.de

Das Crew-Catering war leider nur über Stufen zu erreichen. Da ich kleinwuchsbedingt nur sehr eingeschränkt laufen kann und mich daher mit meinem Roller durch die Welt bewege, sind Treppen für mich nur mit sehr viel Kraft überwindbar. Zum Glück hatte ich meine Set-Assistenz dabei, die mir Brötchen mitbrachte und wir dann alle gemeinsam in der Sonne aßen.

Screenshot von Artikel in der Bild-Zeitung. Titel: Kleiner Mann ganz groß im Geschäft. Artikel über Michel Arriens und seine Moderation mit Ulla Kock am Brink von der Sendung "Die große Welt der kleinen Menschen"

Quelle: Bild.de

Gerade wieder zuhause angekommen, da ereilte mich auch schon die nächste Anfrage. Ich sollte in der kommenden Woche wieder nach Berlin reisen um unsere Sendung im Sat.1 Frühstücksfernsehen zu bewerben. Gesagt, getan. Kurz mal mit dem verschlafen dreinschauenden Kurt Krömer gefrühstückt, mit Matthias Killing vernetzt, mit Simone Panteleit über Karriere gesprochen und nebenbei noch die neue Sendung vorgestellt, da ereilten mich auf der Heimfahrt auch schon die nächsten Interviewanfragen. Mark Pittelkau von der BILD, der sonst nur „echte“ Stars interviewt, wollte mich groß in der Bundesausgabe bringen. „Kleiner Mann ganz groß im TV-Geschäft“ betitelte die BILD dann die wenigen, dafür aber richtigen Worte in der Bremer Regionalausgabe.

Showtime: „Die grosse Welt der kleinen Menschen“

Und dann war es endlich soweit und ich schaute mit Freunden die erste Folge „Die grosse Welt der kleinen Menschen“. Zum ersten Mal bekam ich an diesem Abend einen Einblick in das Leben der anderen Protagonisten und Protagonistinnen. Leider entsprachen einige Szenen so gar nicht meinem Verständnis von angemessener Darstellung.

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Quelle: Myvideo.de

So wurde beispielsweise der kleinwüchsige Ulf Seibicke mit seinem ebenfalls kleinwüchsigen Sohn Jan im Wald beim Feuerholzschlagen gefilmt und im Hintergrund lief die Pfeifmelodie der Zwerge. Jahrelang kämpfe ich im Vorstand des BKMF e.V. nun schon gegen den Vergleich von kleinwüchsigen Menschen mit den Fabelwesen „Zwerg“ oder „Liliputaner“ und mit einem Schlag wirft uns eine solche Musikuntermalung wieder um Jahre zurück. Das machte mich wirklich wütend!

Folgeangebote: Aschenbecher oder Show-Zwerg

Noch am selben Abend standen mein Handy und die sozialen Netzwerke nicht mehr still und aus allen Richtungen kamen Lob und Kritik. Es war eine unbeschreiblich positive, atemberaubende, aber auch unvorbereitete Gefühlsmischung die mich da überrannte. Leider kamen im gleichen Atemzug Anfragen, die erniedrigender kaum sein konnten. Ich sollte als fahrender Aschenbecher oder Show-Zwerg in einer Diskothek fungieren oder bei Veranstaltungen kellnern, bei denen die Beteiligten, bis auf die Gäste, alle eine deutlich sichtbare Behinderung haben mussten. Ich lehnte diese Anfragen natürlich ab – allein sie bekommen zu haben, verletzte mich aber sehr.

Das unbeschreiblich positive Gefühl was ich behalten wollte, vermittelten mir zum Glück aber andere Anfragen. So lernte ich beispielsweise eine gute Freundin durch ein Interview kennen, war in mehreren Kampagnen und Werbefilmen zu sehen und legte die Grundsteine für mein heutiges Netzwerk. Die Arbeit in und mit den Medien gefiel mir so gut, dass ich mich nach reichlicher Überlegung entschied mein bisheriges Lehramts-Studium in Bremen abzubrechen und mich für mein jetziges Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaften in Hamburg einzuschreiben.

Michel Arriens in einem Spot der Firmal Haenel.de. Er sitzt an einem Schreibtisch in einem Büro, dass für kleinwüchsige Menschen baulich angepasst wurde.

Quelle: Haenel.de

Menschen mit Behinderung bei „Bauer sucht Frau“ für mehr Inklusion

Da viele Protagonisten und Protagonistinnen oft bei bestimmten Formaten nicht wissen, was genau sie erwartet – ob „Freakshow“ oder wertvolle Berichterstattung – wünsche ich mir eine offene, ehrliche und auf Augenhöhe stattfindende Kommunikation unter allen Beteiligten. Ich lehne mich sicher weit aus dem Fenster mit meiner These, aber vielleicht müssen Menschen mit Behinderung erst in Formaten wie „Shopping Queen“, „Bauer sucht Frau“ oder „The Biggest Looser“ zu sehen sein, damit deutlich wird, dass sie zur durchschnittlichen Gesellschaft gehören und auch unabhängig von ihrer Behinderung ganz alltägliche Probleme wie Kleiderfrust, Liebeskummer oder Übergewicht haben.

Vielleicht können wir mit einer solchen niedrigschwelligen Darstellung dem Thema Behinderung die Defizit-Kappe abnehmen und in einem völlig neuen und ungelernten Kontext eine versteckte Lernerfahrung schaffen, welche die Behinderung als Merkmal von vielen und nicht ausschließlich als Defizit etabliert.  Meines Erachtens muss die Medienbranche auf jeden Fall stärker in die Inklusionsdebatte mit einbezogen werden.

Weitere Links zum Thema

Titelbild: Bild aus dem  Sat1. Früchstücksfernsehen vom 17.08.2012