Kritik zu: „A Quiet Place“: Horror auf leisen Sohlen

Ein Vater steht verängstigt in einem Kornfeld und hält seinen Sohn in der Hand, in der anderen eine Taschenlampe, seine Tochter steht daneben.

Horrorfilme gehören grundsätzlich eher zu der leiseren Sorte Film. In fast jedem gibt es eine Szene, wo sich jemand mucksmäuschenstill versteckt. Doch was, wenn die ganze Zeit komplette Stille herrschen muss, weil sonst die Monster kommen und einen auffressen? Die Antwort darauf liefert “A Quiet Place”.

Es herrscht völlige Stille, als Familie Abbott — noch fünfköpfig — Lebensmittel sucht und um Geräuschlosigkeit bemüht ist. Schnell wird klar, warum die Familie so gut überleben konnte: Die Tochter Regan ist gehörlos und dementsprechend spricht die ganze Familie Gebärdensprache. Die Kommunikation muss ihnen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschafft haben, sind sie doch die einzigen Überlebenden in der optisch an die Serie The Walking Dead erinnernden Welt. Geplünderte Läden, verlassene Autos, keine Menschenseele weit und breit. Doch die Stille wird unterbrochen und so macht bald auch der Zuschauer Bekanntschaft mit der Ursache für das Schweigen. Menschengroße blinde Gottesanbeter*innen kommen aus dem Gebüsch gestürmt und greifen die Familie an. Hochgradig spannend — das kleinste Geräusch genügt, und die blinden, aber offensichtlich hörenden Monster sind zur Stelle, auch wenn es nach Schätzungen des Familienvaters nur drei von ihnen gibt. Fies und bedrückend.

Das komplette Leben der Familie ist darauf ausgerichtet, Geräusche zu vermeiden: Monopoly-Spielsteine sind durch Stofffetzen ersetzt, Tische mit dicken Decken gedeckt und es wird nur – auf amerikanisch – gebärdet, nie gesprochen. Entsprechend wird der Blick des Publikums geschärft: Wo könnte Lärm entstehen, was macht Geräusche? Raschelndes Laub, knirschende Dielen, alles könnte dafür sorgen, dass die Kleinfamilie ausgelöscht wird. Aufmerksamen Zuschauer*innen fällt auf, was in den Läden noch in den Regalen steht: Kartoffelchips. So wird auch schnell klar, dass der anstehende Nachwuchs ein Problem wird: Kann Mutter Abbott ihr Baby ohne Schreien auf die Welt bringen? Wie verhindert man, dass das Baby schreit, ohne ihm Schaden zuzufügen?

Das wirklich Schöne am Film ist, dass wenig erklärt und nur gezeigt wird, wie das Leben der Familie Abbott im Schatten der Gottesanbeter*innen ist. Auch wie der Vater versucht, das Cochlea-Implantat der Tochter zu reparieren, ist gut dargestellt und ein toller Einblick in den Konflikt zwischen Eltern, die ihre Kinder gerne so normal — so hörend — wie möglich haben wollen, und den gehörlosen Kindern, denen klar ist, dass Gebärdensprache für sie die wesentlich angenehmere Form der Kommunikation ist. Der Konflikt ist nicht nur Mittel zum Zweck, sondern zeigt eigentlich eher, wie zwiespältig eine Eltern-Kind-Beziehung sein kann.

Millicent Simmonds ist eine taube Darstellerin

Hier hat es sich offensichtlich ausgezahlt, auf eine taube Darstellerin zu setzen: Millicent Simmonds wurde bekannt durch den Film Wonderstruck, in dem sie schon 2017 ein gehörloses Mädchen spielte, an der Seite der hörenden Julianne Moore, die eine gehörlose Frau spielt. Nyle DiMarco, der als Gehörloser America’s Next Top Model und Dancing with the Stars gewann und eine Schauspielkarriere anstrebt, kritisiert Hörende, die Taube spielen.

Es sei schwierig, so Nyle DiMarco, einem hörenden Schauspieler die Gebärdensprache ausreichend gut beizubringen, damit die Darstellung authentisch ist. Außerdem vermittle die Wahl eines hörenden Schauspielers oder einer hörenden Schauspielerin für eine taube Rolle bei Betroffenen den Eindruck, dass Gehörlose nicht gut genug sind, um beim Film zu arbeiten. Den Eindruck kann Simmonds in A Quiet Place überzeugend widerlegen: Berichten zufolge soll sie auch ihrer Filmfamilie Gebärden beigebracht haben. Es ist schwer zu sagen, was an den Berichten wahr ist, und was nur PR für den Film, aber auf jeden Fall kommt das familiäre Zusammenspiel sehr gut rüber und auch die gebärdensprachliche Darstellung ist sehr gelungen.

Es werden Ausschnitte der Gebärden gezeigt und zwar nicht Frontalaufnahmen, die den ganzen Oberkörper und die Hände zeigen. So kommt die Darstellung natürlich und normal rüber — auch wird die Gehörlosigkeit nicht groß hervorgehoben. Es ist einfach so, dass die Tochter taub ist und der Vater versucht, ihr zu helfen — eine sehr realistische Darstellung.

Spannung und Schrecken

Alles in allem erwartet die Zuschauer*innen ein sehr gelungener kleiner Horrorfilm ohne große Handlungs-Revolutionen, der aber sehr gut Spannung aufbauen und Schrecken einjagen kann. In den USA konnte der Film erst von Avengers: Infinity War von der Spitze der Charts verdrängt werden und spielte mit 300 Millionen Dollar bereits ein Vielfaches des Budgets von 17 Millionen Dollar ein. Kein Wunder, dass ein Nachfolgefilm bereits in Planung ist — und schön, dass auch interessanter Horror abseits von Torture Porn, bei dem lediglich Folter und Quälereien um des Schockeffekts Willens gezeigt werden, wie es in der SAW-Reihe der Fall ist, eine Chance hat. Ich drücke die Daumen, dass die Fortsetzung mehr taube Schauspieler*innen an Bord holt.

Völlig unverständlich aus Perspektive gehörloser Zuschauer ist jedoch, dass die wenigen lautsprachlichen Szenen nicht untertitelt sind, dafür aber alle gebärdensprachlichen Szenen. Schade, dass ausgerechnet hier nicht an die Gehörlosen gedacht wurde. Immerhin sind die Dialoge nicht wirklich für die Handlung relevant, die man auch so versteht und sich zusammenreimen kann.

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