Gewonnen! Der Oscar für den Besten Kurzfilm ging an The Silent Child, daneben bekam The Shape of Water vier Oscars: Bester Film, Beste Regie, Beste Musik und Bestes Produktionsdesign. Planet der Affen: Survival und Baby Driver gingen hingegen leer aus. Was vereint diese drei Filme? Ein Kommentar von Wille Felix Zante.
THREE OSCAR NOMINATED FILMS THAT HAD DEAF PEOPLE INVOLVED:
1) BABY DRIVER: Deaf Actor
2) THE SHAPE OF WATER: Two Deaf ASL Masters
3) THE SILENT CHILD: Deaf actor (Deaf plot) Slowly but surely making our way into Hollywood!Nyle DiMarco (@NyleDiMarco)
Zwar erwähnt der taube Schauspieler Nyle DiMarco nicht den Film Planet der Affen: Survival, aber auch hier kommt Gebärdensprache zum Einsatz. Baby Driver hat mit CJ Jones einen tauben Darsteller, der gebärdet; in The Shape of Water ist die Hauptfigur stumm, aber nicht taub — und nutzt trotzdem eine Form der Gebärdensprache, um sich auszudrücken. The Silent Child ist der vierte Film im Bunde, der dieses Jahr Gebärdensprache thematisiert und für den Oscar nominiert war, und neben Gottes Vergessene Kinder (1986) der einzige Film mit gehörlosen Schauspieler*innen in Hauptrollen, der einen Oscar gewann.
The Shape of Water
Schon bei den Nominierungen stand The Shape of Water an der Spitze: 13 Mal wurde der Streifen für den Filmpreis vorgeschlagen. Darunter die Preise für den besten Film, beste Regie, beste Darstellerin und beste Nebendarstellerin sowie Nebendarsteller, also alle wichtigen Kategorien bis auf den besten Schauspieler.
Die Handlung erinnert ein bisschen an den Film Hidden Figures(2016), in dem auch diskriminierte Gruppen in einer Forschungsanstalt arbeiten — nur dass bei The Shape of Water das Spektrum von den People of Color auf behinderte und homosexuelle Menschen ausgeweitet wird und die Geschichte fiktiv ist. Zeitlich spielt die Handlung in den 60er Jahren, Weltraumforschung ist am Rande ebenfalls Thema. Die stumme Elisa verliebt sich in ein menschlich anmutendes Wasserwesen, das zu Forschungszwecken aus seinem Gewässer in Südamerika entführt wurde. Die Forscher wollen dem Monster natürlich Böses, und so entschließt sich Elisa mit ihrer schwarzen Kollegin, ihrem schwulen Nachbarn und einem russischen Spion, einen tollkühnen Plan umzusetzen: Das Kiemenwesen zu befreien.
Vorweg: Der Film ist eigentlich toll. Kamera, Regie, Dramaturgie, Schauspieler*innen, alles sehr, sehr gut. Einleitend wird die Geschichte wie ein Märchen aufgebaut und die Diversity-Truppe erinnert natürlich an Zauberer von Oz — nur dass hier die Figuren nicht ein Herz, Hirn und Kansas suchen, sondern in irgendeiner Form Interaktion mit anderen Menschen: Der schwule Nachbar wünscht sich, seine Sexualität ausleben zu können (bisher wurde er ausgegrenzt, verlor seinen Job); die schwarze Kollegin möchte, dass ihr Mann sich endlich mal im wahrsten Sinne des Wortes aus seinem Sessel auflehnt und überhaupt mal mit ihr spricht (das tut er dann — macht es aber komplett falsch) und Elisa selber wünscht sich einfach nur einen Partner. Oder ihre Stimme zurück, der Film bleibt dazu ambivalent.
Die Behinderung als Monster
Damit kommen wir auch zu der problematischen Darstellung im Film: Elisa beschreibt sich als „unvollständig“, eine Bezeichnung, der sich manche behinderte Menschen vielleicht anschließen können, die aber so unreflektiert und, vor allem durch nicht behinderte Figuren in den Mund gelegt, schwierig ist. Die Bloggerin Elisa Sjunneson-Henry, selber taubblind, sieht in Elisas Narben einen „Hinweis darauf, dass ihre Behinderung selbst einem Monster gleicht“. Für sie ist es ein sehr problematisches Thema in Filmen über Behinderung und Sex, das sie nicht mit „Es ist doch nur ein Märchen“ abtun kann:
Nicht, wenn ich noch nie einen Film gesehen habe, in dem eine behinderte Frau von einem nicht-behinderten Partner begehrt wird. Nicht, wenn ich weiß, dass mein Körper als weniger begehrenswert gesehen wird. Nicht wenn ich weiß, dass dieser Film unbewusst suggeriert, dass sie [Elisa] nur einen Freak wie sie verdient und nicht einen Menschen wie sie.
Elisa Sjunneson-Henry
Aus privilegierter Perspektive schreibt hingegen David Crow (weiß, äußerlich männlich, nicht behindert), dass endlich einmal ein Filmmonster (nicht Elisa, sondern das Wasserwesen) von einem Menschen (eben Elisa) geliebt wird — weil es ein typisches Thema von klassischen Horrorfilmen (Frankensteins Braut und eben auch Der Schrecken vom Amazonas) sei, dass die Monster keinen (sexuellen) Anschluss an die Gesellschaft finden. Eine interessante Perspektive, die ich aber nicht ganz nachvollziehen kann, weil der Film zu sehr aus Sicht der Diskriminierten erzählt wird und das Monster durchwegs ein Objekt bleibt. Doch einen guten Punkt bringt Crow hervor: Das eigentliche Monster in dem Film sei „White Privilege“, also die hier in der Form des Sicherheitschefs Strickland manifestierte Überheblichkeit der USA der 50er/60er Jahre (und darüber hinaus): ein angestrebtes Leben als weiß, cis-heterosexuell, erfolgreich, mit zwei Kindern, Haus und neuem Auto.
Interessant ist auch der Subtext, dass das Monster eigentlich keine besonderen Intelligenzleistungen vollbringt, außer Gebärden nachzuahmen. Als Elisa ihm ihre Liebe gesteht, antwortet er nur „Eier?“ Hier musste ich unwillkürlich an die Forschung an Affen denken, denen Amerikanische Gebärdensprache beigebracht wurde. Soll die Aussage nun sein, dass Elisa im Grunde mit einem Tier Sex hat, oder dass Liebe keine Frage der kognitiven Intelligenz ist? Leider bleibt dieses Thema unerforscht, ebenso wie die Tatsache, dass sich hinter der Vulva des Monsters ein Penis verbirgt. Übrigens eine der sehr wenigen Szenen, in denen auch Sprechende gebärden.
Oft wird kritisiert, dass gehörlose Rollen von hörenden Schauspieler*innen gespielt werden. Das ist hier allein schon deshalb nicht zutreffend, weil Elisa ja nur stumm ist und hören kann. Es offenbaren sich eher logische Probleme: Warum ist Elisa (neben dem Monster) die einzige, die gebärdet? Warum verstehen alle Charaktere sie? Warum wird sie verstanden, auch wenn andere Charaktere nicht auf ihre Gebärden achten? Warum setzt sie nicht einfach auf Papier und Stift? Warum gebärdet sie als eine Person, die von Kindesbeinen an Gebärdensprache zur Kommunikation nutzt, so hölzern? Grundsätzlich wirken ihre Gebärden weniger wie eine Sprache und eher wie ein Set von Zaubergesten, mit denen sie ihr Gegenüber dazu bringt, an ihrer Stelle zu sprechen. Besser hätte ich es gefunden, wenn Elisa ein stummes Zauberwesen gewesen wäre, die mit Magie, etwa durch Gedankenübertragung und etwas Händewedeln, die Stimmbänder anderer Menschen zum Schwingen bringt.
Ich muss gestehen, dass ich mir eigentlich ziemlich sicher war, The Shape of Water überhaupt nicht zu mögen, weil die Vorstellung so absurd anmutete: Eine stumme Frau lernt Gebärden, und alle anderen nicht? Das hat sich dann auch so bestätigt. Spannend fand ich jedoch die Interpretation als modernes Märchen, sowie die Parallelen zwischen den Held*innen und dem Monster. Alle sind gefangen und versuchen auszubrechen: Das Monster wortwörtlich aus seinem Wassertank, die Held*innen von ihren Diskriminierungserfahrungen. Auch die Darstellung von Behinderung ist einerseits problematisch, anderseits spannend: Wer ist Subjekt, wer Objekt, wer Held, wer Bösewicht? Und wie lässt sich der Film im Kontext klassischer Monsterfilme verorten? Mein Fazit: Aus tauber Perspektive ist der Film ein Reinfall, aber als Film ist er recht gelungen und hat den Oscar verdient.
Baby Driver
Zwei Nominierungen für Sound, eine für den Schnitt: und doch gab’s keine Preise für Baby Driver. Der Bezug zum Thema Gehörlosigkeit: Der Fluchtfahrer Baby hat Tinnitus, den er durch dauerhafte Musikbeschallung aus seinem iPod übertönt. Viele Szenen sind mit Musik unterlegt, welche Schnitt und Fluss der Szene bestimmt — leider werden die Songtexte teilweise nicht untertitelt. Jedenfalls hat der musikfixierte Baby einen Adoptivvater, der taub und schwarz ist und darüber hinaus noch im Rollstuhl sitzt. In einem Interview sagt der Regisseur über die Zusammenarbeit mit dem tauben Schauspieler CJ Jones: „there was just something very pure about it“. Da schellen direkt die Alarmglocken: Geht’s wieder um die zauberhafte Schönheit der Gebärdensprache? Aber auch Gehörlose können den Szenen was abgewinnen, der Blogger Adam Membrey sieht vor allem in der angemessenen Repräsentation Gehörloser im Film eine große Leistung.
Als Konterpunkt zu der sonstigen Musikorientierung, den gefühlskalten Szenen und der Hektik des Films verlaufen die Gespräche zwischen Baby und dem Ziehvater in Gebärdensprache ruhig und herzlich. Doch irgendwie fühlt sich die Häufung von Diskriminierungen an wie ein vollgemaltes Bingobrett. Taub, schwarz, im Rollstuhl, was noch? Auch filmtechnisch finde ich die Darstellung der Gebärdensprache eher durchwachsen, selbst wenn die schauspielerische Leistung gut ist. Die Gebärdensprachkompetenz wirkt natürlich und ist überzeugend wiedergegeben, nur der Schnitt in den Szenen, wo Gebärdensprache vorkommt, ist steif. Ganz besonders großes Tennis ist die visuelle Aufbereitung des Films in den anderen Szenen. Der rhythmische Schnitt und die Bildkomposition wirkt ansonsten wie Musik für die Augen und ist ein Kontrast zu den vergleichsweise anspruchslosen gebärdeten Szenen. Fans von Regisseur Edgar Wright werden nicht enttäuscht, Gehörlose freuen sich trotzdem über die Sichtbarkeit von gehörlosen Schauspielern.
Planet der Affen: Survival
Auch wenn der aktuelle Teil der Affen-Reihe nur für den Visual Effects-Oscar nominiert wurde, nimmt die Gebärdensprache im Film einen wichtigen Stellenwert ein. Kurzfassung der Story: Ein Virus rottet die Menschheit fast aus, aber führt bei Affen dazu, dass sie intelligenter werden, aufrecht gehen und sogar wie Menschen sprechen. Bei den überlebenden Menschen setzt ein Rückfall ins „Primitive“ ein, der dadurch beginnt, dass sie ihre Stimme verlieren. Lautsprache als Merkmal der Menschlichkeit, eine Einstellung, die immer noch verbreitet ist. Wer nicht akustisch spricht, ist primitiv, Gebärdensprache ist eine Affensprache. Dabei zeigen die stummen Charaktere im Film gar keine besondere Verrohung oder Verdummung. Sie können halt nur nicht akustisch sprechen — aber Gebärdensprache lernen. Das finden die meisten noch nicht vom Virus infizierten Menschen jedoch nicht heraus, weil sie jeden, der verstummt, hinrichten. Die Affen hingegen nutzen ein buntes Potpourri aus Laut- und Gebärdensprache. Wer gebärden kann, gebärdet, wer spricht, spricht. Jeder so wie er kann — eine wirklich inklusive Gesellschaft, zumindest bei den Affen.
The Silent Child
Ein guter Vorfilm für Planet der Affen: Survival wäre sicher The Silent Child, nominiert für den besten Kurzfilm. Erzählt wird im Grunde die Geschichte eines tauben Kindes, das Gebärdensprache lernt, und wie die Familie damit umgeht. Beiläufig werden Floskeln abgefeuert, die jeder gehörlose oder schwerhörige Mensch kennt: Es wird behauptet, dass das taube Kind alles mitbekommt; es wird in Frage gestellt, ob sie jemals einem normalen Job nachgehen kann; der Schwerpunkt wird auf das Lippenlesen gelegt und Gebärdensprache dadurch abgewertet. Ein Film, der mich mit einem Kloß im Hals und Tränen in den Augen zurückließ. Daneben überzeugt er aus filmtechnischer Sicht mit extrem talentierten Schauspieler*innen, einer gelungenen Regie und wunderschönen Bildern.
Der Film gehört ins Curriculum aller Studiengänge, die sich mit Gebärdensprache auseinandersetzen — so eindringlich vermittelt er die Erlebniswelt eines gehörlosen Kindes in einer hörenden Familie und die Isolation, welche solche Kinder erleben. Der Oscar ist mehr als verdient und der Film überaus authentisch mit der tauben Maisie Sly besetzt. Ihre Filmkollegin Rachel Shenton gebärdete während der Dankesrede einen Appell ans Publikum, die Situation gehörloser Kinder in hörenden Familien ernst zu nehmen:
Seeing Rachel Shenton using sign language at #TheOscars makes me tear up.
Nyle DiMarco (@NyleDiMarco)
Wenn es darum geht, Bewusstsein zu schaffen für Gehörlosigkeit und die Vorurteile, mit denen taube Menschen zu kämpfen haben, dann steht The Silent Child ganz klar an der Spitze der 4 Filme mit dem Thema Gebärdensprache, die dieses Jahr für die Oscars nominiert und ausgezeichnet wurden.
Eine Antwort
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Einem Ihrer Punkte möchte ich jedoch widersprechen: Sie schreiben „Doch irgendwie fühlt sich die Häufung von Diskriminierungen an wie ein vollgemaltes Bingobrett. Taub, schwarz, im Rollstuhl, was noch?“ Ich bin mir sicher, dass es Menschen gibt die alle diese Charakteristiken haben und die sich freuen, diese Kombination filmisch repräsentiert zu sehen. Zugegebenermaßen habe ich den Film selber nicht gesehen und kann deshalb nichts darüber sagen, wie gut die verschiedenen Marginalisierungen des genannten Characters filmisch umgesetzt sind. Dennoch steht ihre Kritik meiner Meinung nach im Gegensatz zu dem, was sie wenige Sätze später ausdrücken: „Gehörlose freuen sich trotzdem über die Sichtbarkeit […]“. Warum sollten sich schwarze gehörlose Rollstuhlnutzer nicht über Sichtbarkeit freuen dürfen?