Ein Film in Gebärdensprache ohne Untertitel – „The Tribe“ Kinokritik

Einen Film schauen, ohne die Sprache zu verstehen? Dafür würde kaum einer gerne ins Kino gehen. Der Film „The Tribe“ (2015) von Myroslaw Slaboshpytskiy ist komplett in Gebärdensprache (ohne Untertitel) und vermittelt einmal hörenden Kinofans das Gefühl, dass viele gehörlose Kinofans haben, wenn sie in deutsch synchronisierte Filme gehen. Außerdem gibt „The Tribe“ auch einen Einblick in das Leben von ukrainischen Jugendlichen, die täglich Gewalt an einem Internat erleben. Clara Belz, selbst gehörlos, hat sich den Film angesehen.

„The Tribe“ wurde vor einem Jahr gedreht und ist ein ukrainisches Jugenddrama. Die Regie führte Myroslaw Slaboschpyzkyj und die Besetzung besteht nur aus LaienschauspielerInnen. Es gab sehr viel Kritik am Film von ukrainischen Gehörlosen, vor allem weil so schlecht gespielt und nicht so richtig gebärdet worden sei. Außerdem werfe der Film ein schlechtes Licht auf gehörlose Menschen. Aber es hat mich auch neugierig gemacht zu sehen, wie der Film aufgebaut ist. Das Interessanteste ist, dass der Film in ukrainischer Gebärdensprache gedreht wurde, ohne Lautsprache, nur mit Hintergeräuschen.

Handlung: Gewalt und Prostitution im Internat

Im Film geht es um den gehörlosen Jungen Sergej, der auf ein Internat kommt. Es wird nicht geklärt, woher er kommt und wieso er auf das Internat geht. Nach einem Gespräch mit der Direktorin wird Sergej herumgeführt, und der Klasse vorgestellt. Eine Gang beschnuppert ihn, und es wird schnell klar, dass er anders als die anderen ist. Von Anfang an wird er mit Gewalt konfrontiert, und rutscht immer tiefer ab, je mehr er mit der Gang etwas unternimmt. An dem Internat sind Gewalt, Prostitution, Sex und Tod an der Alltagsordnung. Sehr schnell wird klar, dass Sergej in der Hölle gelandet ist. Im Verlauf des Filmes wird er immer aggressiver und schließlich schmeißt ihn die Gang aus ihrem Zimmer, so dass er nun mit einem gehörlosen Jungen ein Zimmer teilt, der das DownSyndrom hat. Sergej flüchtet sich in Sex, den er mit Geld bezahlt. Er glaubt, dass seine Freundin Anna ihn auch mag, aber ihr geht es nur ums Geld. Als sie feststellt, dass sie schwanger ist, entscheidet sie sich dazu mit Sergejs Beute, die er im Zug geklaut hat, eine illegale Abtreibung durchzuführen…

Kritik: Verstörend und gleichzeitig faszinierend

Dass so junge Menschen so schnell in die Kriminalität rutschen können, unter der Hand der Schulleiterin, fand ich irritierend. Auch, dass es in dem Internat keine ErzieherInnen gibt, und die Jugendlichen ungehindert aus dem Internet flüchten können. Dieses Internat ist kein Ort für junge Menschen, sondern ein Ort des Menschenhandels und der Gewalt. Das Verrückte daran ist, dass die Schulleiterin und der Konrektor davon Bescheid wissen, und sogar die treibenden Kräfte hinter dem Menschenhandel sind. Als Zuschauerin hat mich der Film aber auch in den Bann gezogen, weil er irgendwie originell ist und Szenen zeigt, die man so noch nie gesehen hat und die für mich zu bleibenden Eindrücken wurden. „The Tribe“ würde ich aber nur Menschen empfehlen, die starke Nerven haben.

Gebärdensprache: Wie ich den Film verstehe und wahrnehme

Ich selbst verstehe übrigens die ukrainische Gebärdensprache nicht gut, das meiste konnte ich mir nur erschließen. Die Gebärdensprache in der Ukraine ist anders als die in Deutschland, denn jedes Land hat ja eine eigene Gebärdensprache. Ich finde es gut, dass alle Laienschauspielerinnen gehörlos sind, aber denke auch, wenn ein hörender Mensch die Gebärdensprache gut beherrscht, kann er schon schauspielern. Für die hörenden ZuschauerInnen ist es bestimmt eine interessante Erfahrung, wenn sie den Film nicht direkt verstehen und es keine Untertitel gibt. So können sie sich ein Bild machen wie es uns gehörlosen ZuschauerInnen geht, wenn der langersehnte Film ohne Untertitel läuft und man sich den Film aber unbedingt anschauen will.

Medien: “taubstumm” und “Zeichensprache”

In vielen Kritiken zum Film „The Tribe“ war die Rede von „Taubstummen“, zum Beispiel schrieb die FAZ von “taubstummen Prostituierten” und DeutschlandradioKultur vom “Internat für Taubstumme.” Mich stört, dass die großen Medien den Begriff „taubstumm“ weiter verbreiten und viele Menschen das dann lesen und denken, es wäre nicht diskriminierend, weil die große Zeitungen es so schreiben. Also übernehmen sie den Begriff in ihrem Alltag und dann muss man immer wieder Aufklärungsarbeit leisten, dass man das nicht sagen soll.  Denn gehörlose Menschen sind ja nicht stumm, sie kommunizieren ja mit der Gebärdensprache. Gehörlos wäre der bessere Begriff. Auch ist die Gebärdensprache keine „Zeichensprache“ (siehe Tagesspiegel), weil es nicht nur eine Sammlung von Zeichen ist, sondern auch noch die Mimik des Gesichts dazu kommt. Eine besonders gelungene Kritik zum Film fand ich bei 3sat – sie war tatsächlich in Gebärdensprache, aber dieses Mal mit Untertitel für alle verständlich.

Trailer:

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