Recherchestipendien für konstruktiven Journalismus vergeben

Gruppenbild der Jury: Judyta Smykowski, Redaktionsleitung Leidmedien.de, Laura Gehlhaar, Autorin, Aktivistin und Coach, Maja Weber, Journalistin und Moderatorin für ZDF heuteXpress sowie Jonathan Widder, Geschäftsführer Noah Foundation; Beisitzer der Jury: Thomas Wüst (Stifter)

Die Journalistin Amy Zayed und der Journalist Wille Felix Zante gewinnen ein Recherchestipendium für lösungsorientierten Journalismus. Es ist mit jeweils 5000 Euro dotiert. Die Jury blickt auf den Tag der Entscheidung zurück. 

Mit so vielen Bewerbungen hatte die Jury bei der Erstauflage des Stipendiums nicht gerechnet. So hatten bis zum Bewerbungsschluss am 07. Juni 2019 insgesamt 26 Journalist*innen mit Behinderung und inklusive Teams ausgefeilte Recherchekonzepte und spannende Projekte für das Stipendium eingereicht. Angesichts der Vielzahl an qualitativ hochwertigen Bewerbungen wurde anhand eines strukturierten Auswahlprozesses über die Sieger*innen entschieden, bei dem alle Bewerbungen einzeln intensiv besprochen, eingeordnet und bewertet wurden. War ursprünglich ein Stipendium in Höhe von € 5.000 ausgeschrieben, entschied der Initiator und Sponsor des Pilotprojekts, Thomas Wüst, der der Jurysitzung als stiller Beobachter beiwohnte, aufgrund der hohen Nachfrage und des unerwarteten Erfolgs der Ausschreibung, zwei Stipendien zu vergeben.

Zum Schluss war sich die Jury einig, dass Amy Zayed und Wille Felix Zante mit ihren eingereichten Projekten das Rennen um die ersten beiden Recherchestipendien gewinnen. Die Jury war sich dabei bewusst, dass es bei einem solchen Wettbewerb neben den Preisträger*innen auch zahlreiche Bewerber*innen und inklusive Teams gibt, die nicht zum Zuge kamen. Ehe die Preisträger*innen bekanntgegeben wurden, wurden daher zunächst alle Bewerber*innen informiert, die nicht gewonnen hatten, um sie zu motivieren, auch künftig an solchen Ausschreibungen teilzunehmen.

Die blinde Journalistin Amy Zayed und der gehörlose Journalist Wille Felix Zante erhalten nun finanzielle Mittel, um sich mit ihren Projekten intensiv und lösungsorientiert auseinanderzusetzen. Die Jury gratuliert beiden Preisträger*innen herzlich und bedankt sich ausdrücklich bei allen Journalist*innen mit Behinderung und inklusiven Teams, die ihre Bewerbungen eingereicht hatten. Ihnen allen ist der Erfolg zu verdanken, der mit dieser Erstauflage des Stipendiums verbunden ist: Dafür zu sensibilisieren, dass Menschen mit Behinderung auch im Journalismus vertreten sind und es dafür auch ein entsprechendes Angebot am Markt für die Redaktionen gibt.

Nahaufnahme eines Tisches, auf dem Zettel und Stifte liegen.
Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Mehr Diversität in den Redaktionen gefordert

Dabei war die Auflage des Stipendiums für den Initiator Wüst nicht einfach, er wurde inspiriert von der Broschüre „Journalist*innen mit Behinderung – bitte mehr davon!“, die in einer Kooperation zwischen Leidmedien.de und dem Deutschen Journalisten Verband im April 2018 veröffentlicht wurde. Drei Ziele waren ihm dabei wichtig: Inklusion in Redaktionen zu fördern, Menschen, dabei insbesondere auch Frauen mit Behinderung, die doppelt diskriminiert werden, zu unterstützen, und für die Idee des konstruktiven Journalismus zu werben.

„Unerwartet schwierig war die Suche nach Partnern. So haben alle Redaktionen, die ich mit dieser Idee kontaktiert habe, abgelehnt“, konstatiert Wüst. Erst über Umwege kam er im November 2018 in Kontakt mit Jonathan Widder, Geschäftsführer der Noah Foundation, die mit der Auflage von Recherchestipendien im Bereich des lösungsorientierten Journalismus bereits über eine mehrjährige Erfahrung verfügt. „Die Auflage dieses Pilotprojekts hat uns sofort überzeugt. Auch die ersten Erfahrungen zeigen nun, dass das Projekt sehr wichtig ist“, erläutert Widder.

Als weiteren Projektpartner holte Wüst Leidmedien.de mit an Bord, die sich als Projekt des gemeinnützigen Vereins Sozialhelden e.V. seit 2012 für eine klischeefreie Berichterstattung über behinderte Menschen und deren Repräsentanz in den Redaktionen stark machen. „Wir fanden die Projektidee sehr spannend und freuen uns darüber, dass Journalist*innen mit Behinderung so eine Chance bekommen“, erläutert Judyta Smykowski die Motivation, das Projekt aktiv zu begleiten.

Für die Jury wurden neben Judyta Smykowski und Jonathan Widder auch Laura Gehlhaar und Maja Weber gewonnen. „Ich habe mich über die zahlreichen Bewerbungen sehr gefreut. Zeigt es doch die Motivation und den Willen, diverse Themen voranzutreiben und in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Der nächste Schritt müssen inklusivere Rahmenbedingungen sein: barrierefreie Redaktionen und Journalistenschulen!“, fordert Gehlhaar. Als mehrfach ausgezeichnete Aktivistin, Autorin und Coach brachte Gehlhaar nicht nur ihre Erfahrungen und Perspektiven rund um Themen wie Inklusion und intersektionalen Feminismus in die Bewerber*innenauswahl ein, sondern war auch mit ihrer guten Vernetzung eine bedeutende Integrationsfigur für das Projekt.

Dies gilt auch für die ZDF heuteXpress-Moderatorin und Journalistin Maja Weber, die sich für den konstruktiven Journalismus einsetzt und ihre Kompetenz und Erfahrung ebenfalls frühzeitig in die Ausgestaltung des Projekts eingebracht hat. Auch ihre Expertise im Umgang mit innovativen Formaten, wie der Reporterfabrik, bei der sie als Dozentin aktiv ist, war hierfür äußerst hilfreich und machte sie für die Jury so wertvoll. So hat sie bisher in acht verschiedenen Redaktionen gearbeitet und ist dabei nur zweimal auf Kollegen mit einer Behinderung getroffen, denen es nicht immer leicht gemacht worden ist: „Wir müssen Journalist*innen mit Behinderung stärken. Wir Nichtbehinderte müssen mit dafür sorgen, dass unsere Redaktionen diverser werden. Denn ohne Menschen mit Behinderung fehlt im Journalismus ein wichtiger Blick auf einen Teil unserer Lebenswirklichkeit“, stellt Weber fest.

Fünf Personen sitzen um einen Tisch herum und diskutieren.
Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Auch Entscheidungsgremien müssen divers besetzt werden

Die diverse Besetzung der Jury mit unterschiedlichen Sichtweisen bei der Bewerber*innenauswahl war Wüst sehr wichtig. Ziel war es, die Bewerbungen sowohl fachlich kompetent als auch aus dem Blickwinkel von behinderten und nichtbehinderten Menschen einzuordnen. „Mir war klar, dass wir bei der Vergabe des Recherchestipendiums eine Jury brauchen, in der Expertinnen mit Behinderung vertreten sind“ so Wüst, der der Jurysitzung nur als Beobachter ohne Stimmrecht beiwohnte und von dem Auswahlprozess begeistert war. Hier zeige sich, wie wichtig es generell sei, Entscheidungsgremien möglichst divers zu besetzen, um Themen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Alle Projektbeteiligten waren sich einig, dass dieses Stipendium auch in der Zukunft fortgesetzt werden soll. Alleine die Anzahl von 26 Bewerber*innen hat gezeigt: Es gibt einen Bedarf für ein solches Stipendium und es ist zumindest ein Ansatz, um für mehr Diversität in Redaktionen zu sorgen und um behinderte Menschen zu motivieren und zu unterstützen, ihre Ziele zu verwirklichen.

 

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